COMPAMED Innovationsforum 2024: Implantattechnologien revolutionieren die Medizintechnik
Wirtschaftlich bedeutsamer Bereich mit starkem Wachstum
Medizintechnische Implantate haben das Gesundheitswesen revolutioniert. Kleine und leistungsstarke Geräte übernehmen dank Miniaturisierung und wachsender Intelligenz immer mehr Funktionen im menschlichen Körper.
„Von Herzschrittmachern über künstliche Gelenke bis hin zu neuartigen neurologischen Implantaten bieten sie eine breite Palette von Lösungen für medizinische Bedürfnisse“, erklärt Dr. Thomas R. Dietrich, CEO des Fachverbandes Mikrotechnik IVAM. „Smart Implant Technology“ war vor diesem Hintergrund das Generalthema des diesjährigen COMPAMED Innovationsforums. Die als Webinar am 3. Juni ausgestaltete digitale Veranstaltung wurde wieder gemeinsam vom IVAM und der Messe Düsseldorf durchgeführt und gab einen Ausblick auf ein zentrales Thema der COMPAMED, die 2024 vom 11. bis 14. November wieder in den Düsseldorfer Messehallen 8a und 8b stattfinden wird.
Die internationale Leitmesse für den Zulieferbereich der Medizintechnikindustrie, die immer parallel zur weltführenden Medizinmesse MEDICA durchgeführt wird, bietet das komplette Spektrum von Materialien, Systemen, Produkten und Dienstleistungen für die Medizintechnik. „Im Vorjahr zählten MEDICA und COMPAMED insgesamt 83.000 Besucherinnen und Besucher. Auf Basis des aktuellen Buchungsverlaufs rechnen wir erneut mit gut 750 ausstellenden Unternehmen bei der COMPAMED und mehr als 5.000 bei der MEDICA“, blickt Christian Bigge, Senior Project Manager der Messe Düsseldorf, zurück und voraus.
Der Markt für medizinische Implantate zeigt erhebliches Wachstumspotenzial. Laut Skyquest Technologies Group wurde der globale Markt 2022 auf 90,3 Milliarden US-Dollar geschätzt und wird bis 2030 auf 152,85 Milliarden Dollar ansteigen. Medizinische Implantate sollen Körperfunktionen wiederherstellen, Schmerzen lindern und die Lebensqualität verbessern. Zunehmende Prävalenz chronischer Krankheiten und altersbedingter Leiden wie Arthrose und Herz-Kreislauf-Erkrankungen treiben das Marktwachstum an. Fortschritte in der Implantattechnologie und minimal-invasiven Verfahren bieten zudem erhebliche Entwicklungsmöglichkeiten.
Mit Magnetkraft zu smarten Implantaten
Magneten spielen bei der Weiterentwicklung von „intelligenten“ lmplantaten eine wichtige Rolle. Dabei sind zwei Faktoren besonders wichtig: Die Magnettechnologie verbessert die Ergebnisse für die Patient*innen, indem sie einerseits die Invasivität verringert und die Lebensqualität erhöht, andererseits ein sehr breites Anwendungs-Spektrum von Cochlea-Implantaten bis zu implantierbaren Medikamenten abdeckt. Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass sowohl weichmagnetische als auch hartmagnetische Materialien zur Verfügung stehen. Werden die Typen magnetisiert, so ergeben sich daraus unterschiedliche Verhaltens- und Einsatzmöglichkeiten: weichmagnetische Werkstoffe lassen sich relativ leicht in ihrem magnetischen Zustand verändern, während hartmagnetische Werkstoffe, wenn sie magnetisiert sind, nur schwer veränderbar sind und als permanent gelten.
„Dank dieser Vielfalt bietet die Verwendung unserer Magnete eine Reihe von technologischen und klinischen Vorteilen. Dazu gehören die Feinsteuerung der Implantatfunktion für bessere therapeutische Ergebnisse, nicht-invasive Anpassungen und Energieübertragung, erhöhter Patientenkomfort durch kleinere, effizientere Implantate und verbesserte Sicherheit durch strikte Einhaltung gesetzlicher Standards“, so Mike Shilling, Medical Market Manager bei Dexter Magnetic Technologies, im Rahmen des COMPAMED Innovationsforums.
Das Unternehmen ist einer der führenden Entwickler von magnetischen Lösungen für implantierbare medizinische Geräte. Dazu gehört etwa ein Herzunterstützungsgerät, das mit minimalinvasiven Herzpumpen arbeitet, die miniaturisierte Motoren benötigen. Ein hohes magnetisches Moment sorgt für das erforderliche Drehmoment, während die hohe Koerzitivfeldstärke Widerstand gegen Entmagnetisierung bietet. „Dadurch können wir die Größe und das Seitenverhältnis weiter reduzieren“, sagt Schilling. Derzeit noch in der Entwicklung befindet sich das Projekt Lymphdrainage. Es nutzt die Technologie der magnetischen Kopplung, um die Bewegung und den Abfluss von Lymphflüssigkeit zu erleichtern und soll die Unzulänglichkeiten der bisher verwendeten Methoden überwinden.
3D-Druck für Implantattechnologien immer wichtiger
Erst 2011 wurde Formlabs von drei Studenten gegründet und ist heute der weltweit größte Hersteller professioneller 3D-Drucker der Technologien Stereolithografie (SLA) und selektives Lasersintern (SLS). Formlabs entwickelt und fertigt dabei das gesamte Spektrum von 3D-Druck-Hardware, -Software und -Materialien für das Prototyping und die Produktion. Allein in der Materialforschung arbeiten 60 Beschäftigte u.a. an den für die Medizin unverzichtbaren biokompatiblen Harzen. In seinem Beitrag beim COMPAMED Innovationsforum zeigte Shiden Yohannes, Manager Medical Market Development bei Formlaps, den enormen Fortschritt, zu dem der 3D-Druck gerade bei Implantattechnologien in den letzten Jahren geführt hat. Untersuchungen an der Universität Gent in Belgien zeigen z.B. den Einsatz von Lehr- und Trainingsmodellen beim Stenting von Halsschlagadern (Carotis Artery Stenting, CAS).
Mit Hilfe des 3D-Drucks können patient*innenspezifische Anatomien nachgebildet und Stents darin eingesetzt werden, um die Verfahren zu simulieren. Daher werden diese Modelle sowohl für endovaskuläre Schulungen als auch für die Patient*innenaufklärung verwendet. In dieser Studie wurde wahrscheinlich zum ersten Mal ein kostengünstiges, patient*innenspezifisches 3D-gedrucktes Modell verwendet, um das Einsetzen von CAS-Stents unter direkter Visualisierung und ohne Fluoroskopie zu lehren. Dazu wurden CT-Angiogramme mit einer speziellen Software („Mimics inPrint“) in das notwendige STL-Format konvertiert. Die Halsschlagadern wurden beidseitig abgeschnitten, damit das gesamte Modell auf einen „Formlabs 2“-Drucker passt, ohne den inneren Gefäßdurchmesser auszulassen. Dank dieser Studie konnte gezeigt werden, dass einerseits die kostengünstige Herstellung von sehr komplexen Modellen im Krankenhaus möglich ist und andererseits der Druck von patient*innenspezifischen 3D-Modellen präoperativ bei der genauen Patient*innenauswahl, der präoperativen Planung, der fallspezifischen Schulung und der Patient*innenaufklärung helfen kann.
Neuartige Brust-Bioprothese mithilfe von 3D-Druck
Europa gehört zu den Regionen der Welt mit der höchsten Brustkrebsrate. Innerhalb der EU erkrankt jede elfte Frau im Laufe ihres Lebens an dieser Krebsart. Die Brustentfernung (Mastektomie) stellt für die Betroffenen einen besonders belastenden Eingriff dar. Das europäische Projekt MAT(T)ISSE basiert auf der Entwicklung einer neuartigen Bioprothese, eines medizinischen Implantats der Klasse 3. Das soll dem menschlichen Körper dabei helfen, nach kurativen chirurgischen Eingriffen beschädigte Gewebezonen wiederherzustellen. Eine solche Geweberekonstruktion wird durch die autologe Entnahme von Fettzellen (Fettgewebe) ermöglicht, die in Form eines synthetischen und resorbierbaren Netzes auf eine Textilstruktur reimplantiert werden. Diese Struktur wird mit einer dreidimensionalen bioresorbierbaren und maßgeschneiderten Schalenstruktur kombiniert, die das zu rekonstruierende Volumen markiert.
Das Implantat besteht aus einer Zellwachstumsunterstützung (Spitze) sowie einer 3D-gedruckten Hülle aus demselben bioresorbierbaren Material. Additive Fertigungstechniken ermöglichen auf der Grundlage von MRT-Scans personalisierte Bioprothesen, die an die Morphologien der Patientinnen angepasst sind. Die resorbierbare Schale verschwindet schließlich, sodass die Patientin dank der Regeneration ihrer eigenen Zellen eine natürlich geformte Brust zurückerhält. Der Schwerpunkt des MAT(T)ISSE-Projekts liegt auf der Anwendung bei Brustimplantaten. Die Wissenschaftler untersuchen jedoch auch andere zukünftige Anwendungen für rekonstruktive Implantate (therapeutische und kosmetische Chirurgie), da das in diesem Projekt entwickelte Modell möglicherweise auf andere Körperteile (Gesicht, Gesäß usw.) übertragbar ist.
Kommunikationsoffen, dicht und an der menschlichen Schnittstelle
Neue Kommunikationsmöglichkeiten für Implantate wurden von Prof. Niels Benson von der Universität Duisburg-Essen beim COMPAMED Innovationsforum vorgestellt. Sein Start-up airCode entwickelt drahtlose Kommunikationstechnologien für medizinische Implantate, die über Bluetooth mit Smartphones interagieren können, beispielsweise für Status-Updates. Zum Einsatz kommen dafür proprietäre Antennenmodule in Kombination mit Datenmanagement-Software zur Anwendungsintegration. „Wir ermöglichen Kommunikation selbst in anspruchsvollsten Umgebungen, wie z.B. in der Nähe von Wasser oder Metallen“, so Benson. Herkömmliche Kommunikationsmöglichkeiten von Smartphones sind bislang nicht kompatibel mit medizinischen Implantaten, weshalb für Updates und die Geräteinteraktion ärztliches Fachpersonal und spezielles Equipment benötigt wird.
Glas-Metall-Dichtungen sind entscheidend für die Zuverlässigkeit und Langlebigkeit von Implantaten. Schott, ein Glasspezialist, entwickelt seit über 80 Jahren hermetische Versiegelungen von Glas mit Metallen. Diese Technologien sind besonders für die nächste Generation aktiver medizinischer Implantate und Batterien geeignet, wie Julia Hütsch, Product Manager Medical Electronics bei Schott, in ihrem Forum-Beitrag skizzierte. Schlagende Vorteile von Glas-Metall-Verbindungen und hermetischer Gehäuse sind u.a. gegeben in Bezug auf Biokompatibilität, extreme Dichtigkeit und „Kardiofreundlichkeit“. Sie können demnach auch für Herzschrittmacher und Neurostimulatoren verwendet werden – viele Pluspunkte im wachsenden Implantatmarkt.
Über die Weiterentwicklung des „Brain Interchange Systems“ von CorTec berichtete im Rahmen des Forums Dr. Martin Schüttler, Mitbegründer des Unternehmens. „Das System ist in der Lage, Informationen zwischen Biologie und Technologie, zwischen Gehirn und Computer auszutauschen. Mit unserem System stellen wir die technologischen Werkzeuge bereit, die für die Entwicklung neuer Therapien und Brain-Computer-Interface-Anwendungen benötigt werden“, so Schüttler. Für das Brain Interchange System ergeben sich Einsatzpotenziale bei einem breiten Spektrum von Hirnleistungsstörungen, wobei Neuromodulationsimplantate inzwischen eine bewährte Technologie darstellen. Eine klinische Studie untersucht derzeit eine neuartige Schlaganfallrehabilitation, bei der die Hirnrindenstimulation zur Verbesserung der Plastizität des Gehirns eingesetzt wird.
Medizinische Polymere für intelligente neuronale Implantate
Medizinische Polymere für intelligente neuronale Implantate sind ein weiterer Fortschritt. Dazu referierte Prof. Vasiliki Giagka vom Fraunhofer IZM im Rahmen des Innovationsforums. Die Kompetenzen des IZM reichen von der Materialauswahl und Miniaturisierungstechnik bis hin zu Zuverlässigkeitsprüfungen und Risikobewertung auf technischer und biologischer Ebene. Dabei wird mit führenden Unternehmen und Forschungseinrichtungen weltweit kooperiert. Dank innovativer biokompatibler Technologien für aktive neutrale Schnittstellen kann z.B. stimulierende Elektronik in weiche und biokompatible Polyurethansubstrate eingebettet werden und mit Hilfe von Goldelektroden die peripheren Nerven stimulieren. Insgesamt benötigen neuronale Implantate eine Vielzahl unterschiedlicher Bestandteile, um dauerhaft als geschlossenes System zu funktionieren. Ihre Herstellung ist durch die flexiblen Substrate und die hohen Zuverlässigkeits- und Sicherheitsstandards für Implantationen herausfordernd. Deshalb ist besonderes Entwicklungs-knowhow wie die des IZM in vielerlei Hinsicht gefragt.
Implantate sind schon seit längerem unverzichtbare „Ersatzteile“ für den menschlichen Körper. Ihre Entwicklung vollzieht sich in großen Schritten und erfasst immer weitere Bereiche. Das COMPEMED Innovationsforum hat das nachdrücklich bewiesen.
Quelle: Messe Düsseldorf GmbH