weitere Erkrankungen

Längsschnittveränderungen von Sarkopenie-Kriterien bei Männern ≥ 70 Jahre mit hohem Sarkopenierisiko

Eine zweijährige observative Untersuchung.

Wolfgang Kemmler1, Stephanie Kast1, Cornel Sieber2, Ellen Freiberger2, Simon von Stengel1 

1 Institut für Medizinische Physik, Universität Erlangen-Nürnberg, Erlangen, Deutschland
2 Institut für Biomedizin des Alterns, Universität Erlangen-Nürnberg, Nürnberg, Deutschland

Sarkopenie, definiert als Verlust von Muskelmasse und Funktion, wurde 2017 in den deutschen ICD-10 als klinische Erkrankung aufgenommen (M62.84). Rückgänge der Muskelmasse und-funktion während des Alterungsprozesses des höheren Erwachsenenalters sind indes unvermeidlich. Was ist aber als “normaler altersgerechter” Rückgang von Muskelmasse und -funktion bei älteren Menschen anzusehen? 

Prof. Dr. Wolfgang Kemmler 

Institut für Medizinische Physik Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg Henkestraße 91; 91052 Erlangen; E-Mail: wolfgang.kemmler@imp.uni-erlangen.de

Eine große Anzahl von Studien befasst sich mit diesem Thema. Querschnittsstudien, die den durchschnittlichen Abbau von Muskelmasse oder, präziser gesagt, fettfreier Masse (FFM) im gesamten Erwachsenenalter ermittelten, berichteten von einem Rückgang im Bereich von etwa 0,3-0,5 pro Jahr (p.a.) bei Männern [11, 23]. In Abhängigkeit von Alter und untersuchten Regionen variieren diese Daten jedoch “dramatisch” [22] zwischen den Studien. Die zuverlässigeren Längsschnittstudien, die die Veränderungen von FFM (u.a. [14]) bestimmten, berichteten von einem Rückgang von 0,5-0,8% p.a. bei kaukasischen Männern ≥ 70 Jahre. Da die Muskelfunktion “als die Fähigkeit eines Muskels, Kraft und (Gelenk-)Bewegung zu erzeugen” definiert werden kann, verwenden derzeitige Definitionen korrespondierend “Gehgeschwindigkeit” und/oder “Handkraft”(“handgrip strength”) zur Diagnose der Sarkopenie. In Bezug auf die Muskelkraft wird von einem beschleunigten Rückgang nach Mitte/Ende der 5. Lebensdekade berichtet [16], der als ausgeprägter beschrieben wird als der Rückgang der Muskelmasse [14]. Darüber hinaus wird die Reduktion der Leistungsfähigkeit der unteren Extremitäten im Vergleich zu den oberen Extremitäten als sehr viel höher beziffert [13, 20]. Obwohl also Konsens besteht, dass funktionale und morphometrische Sarkopeniegrößen mit zunehmendem Alter abnehmen, ist der relative Beitrag der Sarkopeniekriterien “skeletaler Muskelmasse Index” (SMI), “Gehgeschwindigkeit” und “Handkraft” zur Entwicklung einer Sarkopenie unklar. In Anbetracht der hochrelevanten Wirkung von Muskelmasse und -funktion auf das “gesunde Altern” [18] erscheint es aber wichtig, die jeweilige Dimension der Reduktion funktioneller und morphometrischer (Sarkopenie-)Kriterien zu kennen. Entsprechende Daten können es dem Arzt ermöglichen, bereits in einem frühen Stadium des Abbaus von Muskelmasse und/oder Funktion spezifische präventive bzw. therapeutische Maßnahmen anzuwenden. Ziel der vorliegenden Studie war es daher, Veränderungen von Muskelmasse, Handkraft und Gehgeschwindigkeit über 24 Monate bei selbstständig lebenden Männern 70 Jahre und älter zu quantifizieren. Um eine klinisch relevante Gruppe einzubeziehen, wurden nur Männer mit einem niedrigen Index der skeletalen Muskelmasse eingeschlossen. Unsere primäre Hypothese war, dass, ausgehend von einer signifikanten Verschlechterung des Sarkopenie Z-Scores über den Zweijahres-Zeitraum, die relative Reduktion funktioneller Sarkopenie-Kriterien verglichen mit der Skelettmuskelmasse signifikant höher liegt. Unsere sekundäre Hypothese war, dass gemäß der oben beschriebenen höheren Reduktion der funktionellen Leistungsfähigkeit der unteren Extremitäten, der Rückgang der Gehgeschwindigkeit signifikant ausgeprägter ist als derjenige der Handkraft.

Methoden 

Studiendesign 

Der vorliegende Beitrag ist Teil des laufenden “Franconian Osteopenia and Sarcopenia Trial” (FrOST). Die zweijährige Beobachtungsstudie basiert auf epidemiologischen Daten der Franconian Sarcopenic Obesity Study (FranSO)[15]. Das vorliegende Projekt schloss allerdings lediglich Männer im untersten Quartil des skeletalen Muskelmasse Index (SMI) als morphometrisches Kriterium der Sarkopenie ein. Das Institut für Medizinische Physik und das Institut für Biomedizin des Alterns, Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), initiierten das Projekt, das von der Ethikkommission der Universität der FAU genehmigt wurde (Ethikantrag 67_15b und 4464b). Alle Studienteilnehmer erklärten Ihre Bereitschaft zur Studienteilnahme über eine schriftliche Einwilligungserklärung.

Setting und Teilnehmer 

Die FranSO-Studie rekrutierte anhand von bereitgestellten Bürgerregistern der Kommunen selbständig lebende Männer ≥ 70 Jahre, die im Raum Erlangen/Nürnberg lebten [15]. Insgesamt 965 kaukasische Männer wurden zwischen Februar und April 2016 eingeschlossen und untersucht. Zielgrößen waren dabei Parameter, die in Zusammenhang mit Sarkopenie, Adipositas, körperlichen Funktionen und Behinderungen stehen. Zwei Jahre später, im Januar/Februar 2018, wurden Männer im untersten SMI-Viertel von “FranSO” (n=245) durch persönliche Briefe und nachfolgende Telefonate kontaktiert. Trotz erheblichen Aufwands konnte der Verbleib von 12 Männern dieser Kohorte nicht mehr geklärt werden (s. Abb. 1).

Weitere 16 Männer lebten nicht mehr selbständig in ihrem bisherigen Umfeld, neun Teilnehmer starben während des zweijährigen Beobachtungszeitraums und 18 Männer konnten/wollten nicht mehr an der Untersuchung teilnehmen (s. Abb. 1). Nach Anwendung der Follow-up (FU) Eignungskriterien: (1) selbständig in der Gesellschaft lebend, ≥ 72 Jahre; (2) keine Amputationen von Gliedmaßen oder Herzschrittmacherimplantate in den letzten zwei Jahren (Ausschlusskriterien Bioimpedanz-Analyse, DSM-BIA); (3) keine Glukokortikoid-Therapie >7,5 mg/d in den letzten zwei Jahren und (4) keine gravierende kognitive Beeinträchtigung, wurden 184 Männer zur Folgemessung eingeladen. Drei Männer konnten aufgrund akuter Erkrankungen die Untersuchungen nicht durchführen, vier weitere, zunächst teilnahmewillige Männer fanden sich trotz mehrerer Terminvereinbarungen nicht zu ihren Untersuchungsterminen ein. Dementsprechend wurden 177 von 242 Männern (73%) im untersten SMI-Quartil der FranSO-Studie und mit vollständigen Datensätzen in die vorliegende Analyse einbezogen (s. Abb. 1). Tabelle 1 zeigt die basalen Charakteristika der FrOST-Kohorte im Vergleich zum restlichen Anteil des FranSO- Kollektivs.

Tab 1: Basale Charakteristika der Studienteilnehmer. Vergleich der a FranSO Daten ohne FrOST Kohorte; b FrOST Kohorte im niedrigsten SMI Quartil FranSO (vgl. Abb. 1).

Studienendpunkte 

Primäres Ergebnis
• Änderungen des Sarkopenie Z-Scores nach dem EWGSOP I Ansatz [9]

Sekundäre Ergebnisse

  • Änderungen der Sarkopenie-Kriterien, die den Sarkopenie Z-Score bilden, d.h.
    o Veränderungen des skeletalen Muskelmasse Index (SMI)
    o Änderungen der habituellen Gehgeschwindigkeit
    o Änderungen der Handkraft

Messungen 

Baseline und Follow-up Messungen wurden mit den identischen kalibrierten Geräten, in derselben Reihenfolge, Einstellung und zur gleichen Tageszeit (± 90 min) durchgeführt.

Der Sarkopenie Z-Score nach dem EWGSOP-Ansatz (European Working Group on Sarcopenia in Older People) umfasst SMI, Gehgeschwindigkeit und Handkraft. Die angewandten Cut-off-Werte liegen bei 0,8 m/s für die Gehgeschwindigkeit und 30 kg für die Handkraft. Abweichend von dem von der EWGSOP für BIA-Assessments vorgeschlagenen Cut-Off-Wert für den skeletalen Muskelmasse Index (SMI) [9] wurde jedoch der “Weißenfels Score” (7,177 kg/m2) angewendet, der speziell für diese nordbayerische Kohorte selbstständig lebender Männern ≥ 70 Jahre [15] berechnet wurde. Basierend auf den entsprechenden Cut-offs und individuellen Daten der Teilnehmer wurde der Sarkopenie Z-Score folgendermaßen berechnet:

Z = ((30 – individuelle Handgriffstärke) / SD Handgriffstärke) + ((0,8 – individuelle Gehgeschwindigkeit) / SD Gehgeschwindigkeit) + ((7,177 – individuelle SMI) / SD SMI). 

Die Körpermasse und -zusammensetzung wurde mittels direkt-segmentaler, multi-frequenter Bio-Impedanz-Analyse (DSM-BIA; InBody 770, Seoul, Korea) unter Anwendung von Standardprotokollen bestimmt. Die “Lean Body Mass” wurde als fettfreie Körpermasse definiert. Vergleichbar mit der Berechnung des BMI (d.h. Körpermasse/ Größe2; kg/m2) und nach dem von Baumgartner [4] vorgeschlagenen Ansatz, wurde der SMI als fettfreie Masse der oberen und unteren Extremitäten (=appendikuläre skeletale Muskelmasse, ASMM) geteilt durch die Körpergröße2 (kg/m2) berechnet.

Eine standardisierte Bewertung der habituellen Gehgeschwindigkeit wurde mit dem für die Forschung empfohlenen “10-m-Protokoll” [27] durchgeführt. Die Teilnehmer starteten 3 m vor dem ersten Fotosensor (HL 2-31, TagHeuer, La Chaux-de-Fonds, Schweiz) in einer aufrechten Position, begannen in ihrem normalen Tempo zu gehen und blieben 2 m nach dem zweiten Fotosensor stehen. Die Tests wurden mit normalen Schuhen ohne spezielle Gehhilfen durchgeführt. Die standardisierte Anweisung an die Teilnehmer war stets: “Gehen Sie mit einer Geschwindigkeit, als ob Sie die Straße entlang gehen würden, um die Geschäfte zu besuchen”.

Die Handkraft wurde jeweils dreimal für die dominante und nicht dominante Hand mit einem JAMAR-Handdynamometer (Sammons Preston Inc., Bollington, USA) untersucht. Die Griffbreite wurde individuell an die Größe der Hand angepasst. Die Tests wurden im aufrechten Stand durchgeführt, die Arme seitlich nach unten. Die standardisierte Anweisung an die Teilnehmer lautete stets “drücken sie jetzt so stark wie möglich”. Das durchschnittliche Ergebnis der drei Versuche für die dominante Hand wurde in die vorliegende Analyse aufgenommen.

Allgemeine Teilnehmercharakteristika (z.B. Familien- und Bildungsstand, Beruf), Medikamente, Krankheiten und Lebensstil (einschließlich körperlicher Aktivität und Sporttreiben), Sturzhäufigkeit, sturzbedingte Verletzungen und Frakturen, wurden anhand eines standardisierten Fragebogens ermittelt, welchen die Teilnehmer beim Besuch unserer Einrichtung ausfüllten. Zusätzlich wurde die verkürzte Version des Late Life Function and Disability Instrument (LLFDI) [21] verwendet. Vor den Tests wurden die Teilnehmer gebeten, ihre Medikamente und Krankheiten zusammenzufassen, um die Vollständigkeit und Genauigkeit dieser Fragebogensektion zu gewährleisten. Die Zusammenfassung wurde von wissenschaftlichen Mitarbeitern in Zusammenarbeit mit den Teilnehmern bei den Tests überprüft. Im Rahmen dieser Interaktion wurden der Grad der Unabhängigkeit und Autonomie, das soziale Netzwerk und die Inanspruchnahme ambulanter Pflegedienste detailliert abgefragt. In dieser Publikation konzentrieren wir uns jedoch auf die Auswirkungen des zunehmenden Alters auf Sarkopenie-Kriterien, sodass spezifische, durch die Fragebögen bestimmte Ergebnisse nicht berücksichtigt werden.

Abb. 1: “Flow-chart“ der vorliegenden Untersuchung.

Statistische Analyse 

Tab. 1 zeigt die basalen Charakteristika der 177 Männer, die in die Analyse einbezogen wurden. Zu Studienbeginn wurden 10,2% der Kohorte als sarkopenisch gemäß EWGSOP I [9] eingestuft. Nach zwei Jahren stieg die Zahl der Männer mit Sarkopenie deutlich (p<.001) auf 18,1% an. Obwohl dieser Aspekt in dieser Studie nicht adressiert wird, zeigt Tabelle 1, dass die Unterschiede für Körpermasse, LBM und natürlich SMI zwischen dem niedrigsten SMI (FrOST-Basiskohorte) und dem übrigen Anteil der FranSO-Studie signifikant waren (alle p<.001). In Bezug auf die funktionellen Parameter lag die Handkraft in der FrOST-Kohorte ebenfalls signifikant niedriger, während die Gehgeschwindigkeit in beiden Kohorten nahezu identisch war (Tab. 1). Interessanterweise wurden keine signifikanten Unterschiede für Krankheiten, Medikamenteneinnahme und Lebensstil einschließlich körperlicher Aktivität und Sporttreiben beobachtet.

Der Sarkopenie Z-Score verschlechterte sich während des zweijährigen Beobachtungszeitraums signifikant und mit hoher Effektstärke (p<.001; ES dz ́: 1.04) (s. Tab. 2). Parallel dazu reduzierte sich der SMI um -1,49±2,75% (p<.001, dz ́: 0,54), die Handkraft sank um -12,8±10,9% (p<.001, ES dz ́: 1,17) und die Gehgeschwindigkeit fiel um -3,5±9,0 (p<.001, ES dz ́: 0,39) ab. Beim Vergleich der jeweiligen Veränderungen der drei Kriterien zeigte der Friedman-Test signifikante Unterschiede (p<.001). Der korrespondierende paarweise Vergleich des Unterschiedes zwischen SMI und Gehgeschwindigkeit, als funktionelles Kriterium mit dem geringeren Rückgang im Vergleich zur Handkraft, zeigte einen signifikanten Unterschied (p=.006).

Somit kann unsere primäre Hypothese, “dass ausgehend von einer signifikanten Verschlechterung des Sarkopenie Z-Scores über den Zweijahres-Beobachtungszeitraum, die Reduktion funktioneller Kriterien verglichen mit der Skelettmuskelmasse signifikant höher liegt” akzeptiert werden.

Im Gegenteil zu unserer Annahme, dass der Rückgang der Gehgeschwindigkeit im Vergleich zur Handgriffstärke deutlich ausgeprägter war, konnten wir keinen entsprechend gerichteten Unterschied feststellen. Im Gegenteil war der Rückgang der funktionellen Leistungsfähigkeit der oberen Extremitäten (d.h. der “Handkraft”) signifikant (p<.001) ausgeprägter (-12,8 ± 10,9% versus -3,5 ± 9,0%) als der Rückgang der Gehgeschwindigkeit, der als Kriterium der funktionelle Leistungsfähigkeit für die Funktion der unteren Extremitäten angesehen wurde.

Tab. 2: Veränderungen von Sarkopenie-Kriterien nach zweijährigem Beobachtungszeitraum. MW: Mittelwert; SD: Standardabweichung; KI: Konfidenz-Intervall; *** p=.001.

Diskussion 

In der vorliegenden Untersuchung untersuchten wir den altersbedingten Rückgang von Sarkopeniekriterien bei selbständig lebenden Männern

≥ 70 Jahre mit niedrigem skeletalem Muskelmasse Index (SMI). Zusammenfassend bestätigten wir (1) unsere Hypothese einer signifikanten Verschlechterung des Sarkopenie Z-Score über den zweijährigen Untersuchungszeitraum und (2) der signifikant höheren Reduktion funktioneller (Gehgeschwindigkeit, Handkraft) vs. morphometrischer Sarkopeniekriterien (SMI). Entgegen unserer “Literatur-geleiteten” sekundären Hypothese erfassten wir einen vierfach höheren Abfall der Handkraft, als Kriterium der Leistungsfähigkeit der oberen Extremtäten, im Vergleich mit der Gehgeschwindigkeit.

Die signifikante Verschlechterung des “Sarkopenie-Status”, der in der vorliegenden Untersuchung mittels Z-Score erfasst wurde, ist in seiner Höhe zunächst schwierig einzuschätzen. Legt man indes die leichter interpretierbare Sarkopenieprävalenz zu Beginn und Ende der Untersuchung zugrunde (10,2% versus 18,1%; p<.001) so ist die rasante Entwicklung der Sarkopenie in diesem Lebensalter unmittelbar sichtbar. Hauptursächlich für unseren Befund ist dabei der Rückgang der Handkraft um 12,8%, die als funktionelles “Killerkriterium” der europäischen und US-amerikanischen Sarkopenie-Ansätze [9, 31] angesehen werden kann. Da die Untersuchung auf selbständig lebende Männer fokussierte, blieb die relativ hohe Anzahl der verstorbenen, institutionalisierten oder nicht mehr erreichbaren Personen (s. Abb. 1) unberücksichtigt. Geht man von einer eher ungünstigeren Entwicklung in dieser nicht eingeschlossenen Kohorte aus, so unterschätzen die vorliegenden Daten die altersinduzierte Reduktion funktioneller und morphometrischer Sarkopeniekriterien sowie die Veränderung der Prävalenz möglicherweise sehr deutlich.

Vergleicht man nun die Veränderungen der einzelnen Sarkopeniekriterien mit der vorliegenden Literatur, so entspricht der gemittelte jährliche SMI-Verlust von 0,75% den Ergebnissen anderer Untersuchungen, die Veränderungen der LBM/fettfreier Masse, ASMM oder SMI zwischen 0,4% und 0,9% p.a. bei Männern ≥ 70 Jahre berichten (u.a. [10, 14, 24].

Veränderungen der Muskelkraft in höherem Lebensalter (d.h. ≥ 70 Jahre) werden als wesentlich höher eingestuft. Längsschnittstudien zeigen, dass Männer im Alter von 75 Jahren 3-4% p.a. an Kraft verlieren (Übersicht in [23]). Dieser Wert deckt sich mit der mittleren Veränderungen der Handkraft von 2-4% p.a. (u.a. [10, 18, 30]), der deutlich unter dem Rückgang von 6% p.a. dieser Studie liegt. Messmethodische Gründe für dieses nicht erwartete Ergebnis schließen wir aufgrund des hohen Standardisierungsgrades, der simplen Messinstruktion und des etablierten und kalibrierten Testgerätes (JAMAR Handdynamometer) aus (s.u.).

Vergleichbar mit der Handkraft (u.a. [2, 18] ) steht eine niedrige habituelle Gehgeschwindigkeit in engem Zusammenhang mit Gebrechlichkeit, Krankenhausaufenthalt, Morbidität und Mortalität [1, 6, 18, 25]. Abseits der Studienendpunkte war ein wichtiges Ergebnis unserer Studie, dass Männer mit niedrigem SMI eine ähnlich hohe Gehgeschwindigkeit aufweisen wie Männer mit altersnormalem bzw. hohem SMI (s. Tab. 1). Darüber hinaus liegt die Gehgeschwindigkeit unserer Kohorte (1,24 m/s) im Bereich der Referenzwerte (1,26 m/s) für Männer im Alter von 70-79 Jahren [5] und, unabhängig von Alter, Geschlecht und Anthropometrie, im “normalen” Bereich der Gehgeschwindigkeit (1,2-1,4 m/s)[12]. Die Reduktion der Gehgeschwindigkeit lag in unserem Kollektiv bei 1,7% oder 0,024 m/s im Jahr. Betrachtet man -0,12 m/s als grundsätzlich klinisch relevante Reduktion (ES: 0,5) der Gehgeschwindigkeit bei selbständig lebenden älteren Menschen (vgl. [26]), so ist der 4-5-fach geringere jährliche Rückgang in unserer Kohorte als lediglich leicht bis moderat einzuordnen.

Unsere literaturgeleitete sekundäre Hypothese ging von einem höheren Rückgang der Gehgeschwindigkeit aus, die signifikant über der Reduktion der Handkraft eingestuft wurde (u.a. [3, 10, 13]). Tatsächlich hängt die habituelle Gehgeschwindigkeit von mehreren Faktoren ab; Maximalkraft ist dabei sicherlich ein wichtiger [7, 28], aber nicht der alleinige Prädiktor dieser Fähigkeit. Während die fettfreie Masse der unteren Extremitäten keinen wesentlichen Erklärungsbeitrag liefert [8], stehen Flexibilität [29] und motorische Steuerungsfähigkeit [8] in engem Zusammenhang mit der Gehgeschwindigkeit. Darüber hinaus tragen mehrere nicht-muskuloskeletale Faktoren (u.a. kognitiver Status [32], Depressionen [19]) relevant dazu bei, die Varianz der Gehgeschwindigkeit bei älteren Erwachsenen zu erklären. Insofern erscheint es unangemessen, die komplexe Fähigkeit habituelle Gehgeschwindigkeit (nur) unter dem Aspekt “Kraft der unteren Extremität” zu subsumieren.

Unsere Studie weist einige Besonderheiten und Einschränkungen auf, die einen angemessenen Vergleich mit anderen Studien und die Interpretation der Ergebnisse erschweren.

(1) In dieser Beobachtungsstudie konzentrieren wir uns auf die Männer im untersten SMI-Quartil der FranSO-Studie. Der Vergleich dieser Kohorte mit Altersgenossen mit normalem-hohen SMI hätte weitere Erkenntnisse über die altersbedingte Entwicklung der Sarkopeniekriterien liefern können.

(2) Wie bereits oben diskutiert, weist die Untersuchung eine relativ hohen “loss to follow-up” auf. Bedingt durch Sterbefälle, nicht mehr lokalisierbare Personen, Personen die nicht mehr an der FU-Untersuchung teilnehmen wollten (“Interesse verloren”) oder konnten (u.a. “Transferprobleme”) und unserem Fokus auf selbständig lebende Männern, wurden von den 242 Personen in niedrigsten SMI- Quartil 177 Studienteilnehmer (73%) in die Analyse eingeschlossen. Es darf spekuliert werden, dass die zugrundeliegenden Gründe für Nicht-Teilnahme bzw. Ausschluss zu einem hohen Anteil mit funktionellen Beeinträchtigungen zusammenhängen. Insofern gehen wir davon aus, dass bei Einschluss “aller” Teilnehmer im niedrigsten SMI-Quartil die negative Entwicklung morphometrischer und funktioneller Sarkopeniekriterien nochmals deutlich ausgeprägter wäre.

(3) Insbesondere aufgrund des hohen Stichprobenumfangs sollte “Signifikanz” (p≤.05) nicht mit “klinischer Relevanz” gleichgesetzt werden. Dies bezieht sich insbesondere auf den “hochsignifikanten”, aber klinisch wenig relevanten Rückgang der Gehgeschwindigkeit.

(4) Alle Tests oder Testverfahren wurden standardisiert an kalibrierten Gerten durchgeführt. Zudem wurden die Tests exakt in derselben Reihen- folge und Einstellung zur gleichen Tageszeit mit demselben Testprotokoll durchgeführt. Weiterhin wurden Tests konsequent mit der identischen standardisierten Anweisung eingeführt, d.h. “Gehen Sie mit einer Geschwindigkeit, als ob Sie die Straße entlanggehen würden, um in die Geschäfte zu gehen” (Gehgeschwindigkeit) und “drücken Sie jetzt so stark wie möglich “ (Handkraft). Allerdings wurden Eingangs- und FU-Tests nicht immer konsistent von demselben Testassessor durchgeführt. (5) Es ist schwierig, die externe Validität dieser Studie in Bezug auf ihre Verallgemeinerbarkeit auf andere Kohorten in höherem Lebensalter abzuschätzen. Wir meinen jedoch, unsere Ergebnisse auf das große und klinisch relevante Kollektiv älterer, selbständig lebender Männer mit erhöhtem Risiko oder bereits vorliegender Sarkopenie übertragen zu dürfen.

Was ist nun die praktische Konsequenz unserer Ergebnisse? Grundsätzlich muss sich der Praktiker bei Diagnostik und Verlaufskontrolle der Sarkopenie über die unterschiedlich hohen Veränderungen der Sarkopeniekriterien im Klaren sein. Weiterhin ist das Wissen um die altersinduzierte Veränderung von Muskelmasse und -funktion von hoher klinischer Relevanz, um eine optimierte Therapie zu planen und die Priorisierung der Trainingsziele beim älteren Menschen berücksichtigen zu können.

Danksagung 

Wir möchten uns für die Bereitstellung der Adressdaten (nach Vorlage des positiven Votums der Ethikkommission und des Datenschutzbeauftragten der FAU) ganz besonders bei den Einwohnermeldeämtern der beteiligten Kommunen bedanken. Keiner der Autoren unterliegt in Zusammenhang mit dem vorliegenden Beitrag einem Interessenskonflikt.

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