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Die neue Medizinproduktverordnung – jetzt wird’s ernst!

Interview mit Astrid Tomczak, München

Die neue Medizinprodukteverordnung wird zum 26. Mai 2020 vollumfänglich in Kraft treten. Was bereits zu Beginn von vielen Unternehmen der Medizinproduktebranche befürchtet wurde, wird jetzt Realität. Die Übergangsfrist von den alten Regelungen zum neuen europäischen Rechtsrahmen ist viel zu kurz, für einige der neuen vorschriften fehlen noch Durchführungsverordnungen und vor allem kleine und mittlere Unternehmen haben aufgrund eines Konvoluts an neuen vorgaben kaum eine Chance, sich an den bald geltenden Rechtsrahmen anzupassen. Im Interview mit Medizinconsultant Astrid Tomczak (ll.M.) haben wir die wichtigsten Änderungen für Unternehmen, Händler und Ärzte beleuchtet und uns auch die Marktauswirkungen angesehen.

Astrid Tomczak

Ästhetische Dermatologie:

Bisher war die Medizinprodukteverordnung ein nebulöses Gebilde, von dem zwar jeder schon mal gehört, mit dem sich aber der ein oder andere noch gar nicht auseinandergesetzt hatte. Wird sich das bald ändern?

Astrid Tomczak:

Davon bin ich überzeugt. Das neue Gesetz wird auf die tägliche Arbeit aller Akteure am Markt durchschlagen. Gerade in der Ästhetischen Medizin gibt es einige Produkte, die unmittelbar von den Neureglungen betroffen sind. Dies wird unter anderem dazu führen, dass die Produktauswahl mittel -und langfristig abnimmt und Innovationen nicht mehr wie bisher auf dem europäischen Markt, sondern eher auf dem US- oder lateinamerikanischen Markt gelauncht werden.

Mehr oder weniger gleichzeitig zur stärkeren Regulierung des europäischen Binnenmarktes hat die US- amerikanische Gesundheitsbehörde FDA nämlich einige ihrer Vorgaben für Medizinprodukte gelockert. Damit wird es für Unternehmen einfacher und lukrativer, Zugang zum nach wie vor größten Markt für medizinische Ästhetik zu erhalten.

Ästhetische Dermatologie:

Welche Produktgruppen werden von diesen Limitierungen betroffen sein?

Astrid Tomczak:

Es geht um Produktgruppen, die dem Hersteller zufolge lediglich eine kosmetische oder sonstige nicht- medizinische Zweckbestimmung haben, die aber hinsichtlich ihrer Funktionsweise und Risikoprofile Medizinprodukten ähneln. Sie werden in der Anlage XVI zur Medizinprodukteverordnung gelistet. Für den Bereich der Ästhetischen Medizin sind hier vor allem drei Kategorien relevant:

1. Dermal Fillers
2. Geräte zur Verminderung, Entfernung und Zerstörung von Fettgewebe (Equipment für Liposuktionen, Lipolyse oder Lipoplasty)
3. Laser und IPL-Geräte für Skin Resurfacing, Tattoo- und Haarentfernung oder andere Hautbehandlungen

Diese Produktgruppen müssen, obwohl sie keine medizinische Zweckbestimmung – also die Behandlung, Linderung oder Diagnose von Krankheiten am Menschen – verfolgen, nach dem Willen des europäischen Gesetzgebers rechtlich ähnlich wie ein Medizinprodukt behandelt werden.

Ästhetische Dermatologie:

Welche konkreten Folgen hat das für die Hersteller dieser Produkte?

Astrid Tomczak:

Zunächst muss der Hersteller klären, unter welche Risikoklasse sein Produkt fallen wird. Die Risikoklassen spiegeln dabei diverse Aspekte eines Produkts wieder. Diese sind der Grad der Invasivität, das Verhalten des Produkts bei oder nach seiner Anwendung sowie die Dauer seiner Anwendung bzw. seine Verweildauer im menschlichen Körper. Die Anwendung der Klassifizierungsregeln lässt sich gut am Beispiel der Dermal Fillers zeigen. Hierbei handelt es sich um implantierbare Produkte, die mittels einer invasiven Methode in den menschlichen Körper eingebracht und dort zu einem vollständigen oder bedeutenden Umfang resorbiert werden (vgl. Anhang VIII, 5.4, Regel 8 Teilstrich 3 VO (EU) 2017/745). Somit ergibt sich regelmäßig die höchste Risikoklasse, also Risikoklasse III.

Des weiteren muss der Hersteller gewährleisten, dass sein Produkt die sogenannten “common specifications” erfüllt. Dabei geht es vor allem um Sicherheits- und Performance- Aspekte. Es werden in Zukunft klinische Daten erforderlich sein, deren Umfang bisher noch nicht feststeht, die jedoch sicherlich den derzeitigen Standard übersteigen werden. Beim Hersteller muss es mindestens eine Person geben, die für die Einhaltung der Regulierungsvorschriften verantwortlich ist (Art. 1 VO (EU) 2017/745). Händler und Importeure entlang der Lieferkette müssen das Produkt konform der neuen Regularien vertreiben. Der Hersteller muss zudem für eine ausreichende finanzielle Deckung, die der Risikoklasse seines Produkts angemessen ist, sorgen. Für die Zeit nach der Produkteinführung sind jährliche Safety Update Reports zu verfassen, die alle Formen von Nebenwirkungen mit einer entsprechenden Risikobewertung enthalten sollen.

Eine weitere Neuerung ist die Einführung des Unique Identifiers (UDI), der die Rückverfolgbarkeit jedes einzelnen Produkts und nicht mehr nur eines Batches garantiert. Dieser wird vom Hersteller generiert und in die UDI Datenbank eingetragen. Für implantierbare Produkte ist durch den Hersteller ein Implantationsausweis mit den Produkten mitzuliefern (Art. 18 Abs. 1 Satz 5 VO (EU) 2017/745).

Ästhetische Dermatologie:

Und welche Pflichten treffen die Importeure und Händler solcher Medizinprodukte in Zukunft?

Astrid Tomczak:

Ein Importeur zeichnet sich dadurch aus, dass er Medizinprodukte aus dem außereuropäischen Ausland in die Europäische Union einführt. Ihn treffen daher vor allem Überprüfungspflichten, die die Konformität des importierten Produkts mit den Vorgaben der Medizinprodukteverordnung betreffen. Dazu gehören beispielsweise das Vorhandensein einer CE-Kennzeichnung und eines Bevollmächtigten des Herstellers, eine EU-Konformitätserklärung, die richtige Produktkennzeichnung und die Beilage einer entsprechenden Gebrauchsanweisung. Der Importeur ist zudem verpflichtet, seinen Namen und Standort auf dem Produkt zu vermerken, die Registrierung des Produkts in der UDI-Datenbank zu überprüfen und mit seinen Daten zu ergänzen. Während sich die Produkte in seiner Verfügungsgewalt befinden, sorgt er für die Einhaltung der vom Hersteller vorgegebenen Lager- und Transportbedingungen.

Ein Händler ist dagegen jede natürliche oder juristische Person in der Lieferkette, die ein Produkt bis zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme auf dem Markt bereitstellt, mit Ausnahme des Herstellers oder Importeurs. Händler sind also in aller Regel innerhalb der EU tätig. Nichtsdestotrotz treffen sie im Wesentlichen die gleichen Verpflichtungen wie den Importeur. Händler geben jedoch nicht ihren Namen und Standort auf dem Produkt an. Importeure und Händler dürfen keine Produkte einführen bzw. handeln, deren Konformität mit der Medizinprodukteverordnung in Frage steht.

Ästhetische Dermatologie:

Gibt es aus der neuen Verordnung auch spezielle Verpflichtungen für die Anwender von Medizinprodukten?

Astrid Tomczak:

Ja, auch für Ärzte und andere Anwender von Medizinprodukten sind neue Vorschriften erlassen worden. Zunächst wird allen Anwendern empfohlen, die einzusetzenden Produkte auf ein gültiges CE-Zeichen zu überprüfen und diese ausschließlich aus vertrauenswürdigen Quellen zu erwerben. Für alle Klasse III implantierbaren Medizinprodukte ist der Unique Identifier der verwendeten Medizinprodukte aufzubewahren, am besten in elektronischer Form. Dies soll eine komplette Rückverfolgbarkeit jedes einzelnen Medizinprodukts entlang der Lieferkette gewährleisten. Patienten, die mit Klasse III implantierbaren Produkten wie Dermal

Fillers versorgt werden, müssen zudem mit einem Implantatpass und unmittelbarem Zugang zu Informationen über das verwendete Produkt ausgestattet werden. Der Verwaltungsaufwand in den Praxen und Kliniken wird also einmal mehr zunehmen.

Ästhetische Dermatologie:

Wie sieht eigentlich die Zukunft von Mesotherapie-Produkten unter der MDR aus?

Astrid Tomczak:

Das ist tatsächlich eine sehr interessante Frage. Die meisten Mesotherapieprodukte sind Gemische aus Vitaminen, Aminosäuren, Mineralien etc. und zum Zwecke der Injizierbarkeit in unterschiedlichen Konzentrationen von Hyaluronsäuren gelöst. Wer den Markt aufmerksam beobachtet stellt fest, dass viele dieser Cocktails vom Hersteller zur rein topischen Anwendung ausgelobt werden, offiziell also nicht injiziert werden dürfen. Selbstverständlich lässt sich klinisch überhaupt keine Verbesserung der Hautqualität erzielen, wenn diese Produkte nur oberflächlich wie eine Creme auf die Haut aufgetragen werden. Daher wird eben doch gespritzt oder das Produkt per Microneedling eingebracht. Letzteres macht übrigens rechtlich keinen Unterschied und beides geschieht auf eigene Gefahr des Anwenders. Dies ist vielen Behandlern nicht bewusst.

Um rechtlich auf der sicheren Seite zu sein, wäre eine Medizinprodukteklasse III-Zertifizierung von Nöten. Meine Schätzung ist, dass derzeit nur ca. 20-30% der Mesoprodukte auf dem deutschen und europäischen Markt eine solche vorweisen können.

Eine andere Frage ist aber die des Wirkmechanismus dieser Produkte. Medizinprodukte zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine nicht- pharmakologische, nicht-metabolische und nicht-immunologische Wirkung haben, also zum Beispiel physikalisch wirken. Bei der Hyaluronsäure ist der derzeitige Konsensus, dass die Wasserbindungskapazität, die Fähigkeit Volumen aufzubauen, Struktur und Puffer in der Haut zu sein, die physikalische Wirkweise der Substanz belegt. Bei Mesoprodukten kann das anders aussehen.

Vitamine, Mineralien oder Wachstumsfaktoren binden an spezifische Rezeptoren in der Haut und sorgen so für hautverjüngende, entzündungshemmende oder aufhellende Wirkungen. Das lässt sich gut am Beispiel von Vitamin C nachvollziehen, welches in die Melaninsynthese eingreift und so lästigen Altersflecken vorbeugt oder bestehende Pigmentierungen reduziert. Hierbei handelt es sich nicht mehr um eine physikalische Wirkweise, sondern vielmehr um einen pharmakologischen Prozess. Die Frage ist bei Mesococktails also, ob die Trägersubstanz Hyaluron die bestimmungsgemäße (physikalische) Hauptwirkung erzielt oder ob es doch die zugesetzten Hautverjüngungssubstanzen sind. Trifft letzteres zu, reden wir von einem Arzneimittel, und viele der derzeitig vertriebenen Mesococktails wären damit als Arzneimittel ohne Zulassung zu qualifizieren. Das kann vor allem für die Hersteller signifikante rechtliche Konsequenzen haben.

Um solche Produkte an der Grenze zwischen Medizinprodukteregime und Arzneimittelgesetz in Zukunft besser beurteilen zu können, sieht die MDR ein eigenes Gremium vor, welches sich dieser Produkte annehmen wird. Zusammenfassend lässt sich daher folgendes sagen: um einen Mesococktail lege artis anwenden zu können, muss er zumindest eine Klasse III-CE-Zertifizierung vor- weisen. Ob der Hersteller diese Zertifizierung erhalten kann, hängt von der bestimmungsgemäßen Hauptwirkung des Produktes ab. Ist diese überwiegend physikalisch, stehen die Chancen gut, ist sie überwiegend pharmakologisch, muss eine Arzneimittelzulassung beantragt werden. Das ist noch teurer als die CE-Zertifikate nach MDR und beide setzen zudem ausreichende Studiendaten voraus. Daher muss man abwarten, wie viele Produkte in dieser Kategorie in Zukunft noch verfügbar sein werden.

Ästhetische Dermatologie:

Sehr geehrte Frau Tomczak, wir bedanken uns für das Gespräch und freuen uns in der nächsten Ausgabe auf das Thema: “Verschreibungspflicht für Dermal Fillers”.

Das Interview führte S. Höppner.