Aktuell Derma

Aktuelle Marktzahlen und Trends in der Ästhetischen Medizin

Interview mit Astrid Tomczak, München

Die Ästhetische Medizin ist seit vielen Jahren ein Wachstumsmarkt. Während in anderen Branchen je nach Konjunktur auch einmal eine geringere, einstellige Entwicklung zu verzeichnen ist, gelten für die Ästhetik offenbar eigene Spielregeln. Sogar während der Finanzkrise 2008/2009 lag das europaweite Wachstum dank dem sogenannten “Lipstick-Effekt“ noch bei satten 7%. Dieser Effekt, so amerikanische Forscher, führt bei Konsumenten in wirtschaftlich schwierigen Phasen zu einem deutlich vermehrten Konsum in den Bereichen Kosmetik (daher der Name des Phänomens) und Alkohol. Ersteres lässt sich vermutlich mit der Angst vor Arbeitsplatzverlust und sozialem Abstieg erklären. Ein gepflegtes Äußeres spricht dagegen für sozialen Wohlstand und geregelte Verhältnisse, und so soll die Realität wohl dem ersten Eindruck folgen. Wie sich die Entwicklung in den nächsten Jahren darstellen wird, welche Faktoren den Markt beeinflussen und welche Wettbewerbsstrategien die großen Hersteller verfolgen, haben wir mit Medizinconsultant Astrid Tomczak LL.M. (Pharmarecht) diskutiert.

Ästhetische Dermatologie:

Frau Tomczak, wie wird sich der globale Ästhetikmarkt aus Ihrer Sicht bis 2022 entwickeln?

A. Tomczak:

Hier erwarten uns erfreulich positive Zahlen. Dies betrifft alle Segmente des Ästhetikmarktes, der sich grob in die Teilmärkte Brustimplantate, “Injectables“ (Filler & Botulinum), Geräte und Cosmeceuticals einteilen lässt. Insgesamt wird das Marktvolumen von 11,5 Milliarden $ in 2018 auf 15,8 Milliarden $ ansteigen. Das entspricht ca. 14 Milliarden €. Der Markt für Filler und Botulinumprodukte hat dabei mit 8,1 Milliarden $ den größten Anteil am Gesamtmarkt gefolgt vom Gerätemarkt mit 3,5 Milliarden $. Beide Zahlen sind die prognostizierten Zielzahlen für 2022. Wir sprechen im Bereich der Injectables also von einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum um ca. 9% bis 2022. Davon können viele andere Märkte nur träumen.

Ästhetische Dermatologie:

Wie ist das Wachstum im Bereich der Injektionsbehandlungen auf die verschiedenen Regionen verteilt?

A. Tomczak:

Grundsätzlich ist der US-amerikanische Markt nach wie vor der größte Markt für Ästhetische Medizin. Dies gilt auch für Filler- und Botulinumbehandlungen. Hier wird ein Umsatzzuwachs auf 3,4 Milliarden $ bis 2022 erwartet. Dieses Wachstum speist sich vor allem aus der Erschließung neuer Patientengruppen wie Männern und jüngeren Patienten. Für Europa werden 1,4 Milliarden $ in 2022 erwartet. Das ist zwar weniger als die Hälfte im Vergleich zum umsatzstarken US-amerikanischen Markt, aber doch eine erstaunliche Entwicklung im Vergleich zu 1,1 Milliarden $ in 2018. Für Lateinamerika wird vor allem die steigende Nachfrage nach Hyaluronsäureunterspritzungen das Marktwachstum positiv beeinflussen. Bis 2022 werden hier 1,1 Milliarden $ erwartet; 2018 waren es ca. 0,8 Milliarden $. Der bisher praktisch unberührte asiatische Markt profitiert von der wachsenden Akzeptanz minimalinvasiver Maßnahmen. Waren es 2018 1,6 Milliarden $, werden für 2022 2,1Milliarden $ erwartet.

Ästhetische Dermatologie:

Neue Patientengruppen treiben das Wachstum im Markt für Injektionsbehandlungen also voran. Welche weiteren Faktoren spielen eine Rolle?

 A. Tomczak:

Hier sind einige Punkte zu nennen. Zum einen hat sich in der Gesellschaft im Allgemeinen, und das gilt weltweit, in hohes Schönheitsbewusstsein entwickelt. Dieses wird durch die Medien weiterbefördert und viele der minimal-invasiven Behandlungen haben auch ein positives Medienecho. Der Wunsch nach minimal-invasiven und non-invasiven Behandlungen von Patientenseite treibt die Industrie zu weiteren Produktverbesserungen und Innovationen an. Darüber hatten wir ja im letzten Artikel ausführlich berichtet. Dann lässt sich, ebenfalls weltweit, beobachten, dass neben den klassischen Anbietern wie Plastischen Chirurgen und Dermatologen auch viele fachfremde Behandler auf den Markt drängen. Diese haben Zugang zu anderen Patientengruppen und tragen so zum weiteren Marktwachstum bei. Sie ermöglichen auf diesem Wege quasi auch den Zugang für Patiententypen, die vielleicht vor dem Gang zum Plastischen Chirurgen oder Dermatologen eher zurückschrecken. Und zuletzt ist eine wachsende Beliebtheit von Kombinationsbehandlungen zu beobachten. Dies sorgt selbstverständlich ebenfalls für Umsatzzuwachs.

Ästhetische Dermatologie:

Welche Entwicklungen lassen sich auf Seiten der Hersteller beobachten?

A. Tomczak:

Hersteller versuchen bereits seit einigen Jahren, ihre Produktportfolios und ihre geographische Ausbreitung durch verschiedene Maßnahmen zu erweitern. Klassische Maßnahmen sind hier Distributions- oder Lizenzvereinbarungen. Ein frühes Beispiel war die Vereinbarung zwischen Ipsen und Galderma über den Vertrieb von Azzalure. Aktuelle Beispiele sind ähnliche Vereinbarungen zwischen Allergan und Medytox sowie zwischen Croma Pharma und Hugel. Allergan gewinnt damit einen wichtigen Partner für den Vertrieb von Botulinumtoxin im asiatischen Markt. Croma Pharma spart sich die langwierige Entwicklung eines eigenen Toxins und kann so das eigene Portfolio weiter anreichern. Eine andere Möglichkeit sind Joint Ventures, wie sie erst kürzlich zwischen Medytox und Bloomage geschlossen wurden. Beide Partner profitieren hier, indem sie ihr jeweiliges Portfolio mit Hyaluronsäure- bzw. einem Botulinumpräparat komplettieren können.

Akquisitionen sind zwar ein kostspieliger, aber häufig auch ein schnellerWeg, sowohl die geographische Präsenz als auch das Produktportfolio zu erweitern. So wurde das britische Unternehmen Sinclair Pharma vom chinesischen Pharmaunternehmen Huadong übernommen, welches bisher keinerlei Berührungspunkte mit der Ästhetikwelt hatte. Bloomage, der nach eigenen Angaben weltweit größte Hyaluronhersteller, hat Lab. Vivacy aufgekauft, einen französischen Hyaluronsäureanbieter, der seit vielen Jahren mit seiner Produktreihe Stylage auf dem europäischen Markt präsent ist.

Zuletzt besteht auch die Möglichkeit, technisches Wissen zwischen Partnern zu transferieren. So geschehen durch eine Vereinbarung, die im November letzten Jahres zwischen Sesderma und Humedix geschlossen wurde. Sesderma, ein spanisches Unternehmen mit einem großen Distributionsnetzwerk weltweit, erhält durch diese Vereinbarung das technologische Know-how, um einen von Humedix entwickelten Hyaluronsäurefiller in Zukunft in Eigenregie herzustellen und zu vertreiben. Dafür erhalten die Koreaner 2,5 Millionen $ sowie eine geringe Gebühr für weitere sieben Jahre nach vollendetem Technologietransfer.

 

Ästhetische Dermatologie:

Das regulatorische Umfeld verändert sich momentan sehr stark. Welche Aktivitäten von Behörden waren in der letzten Zeit zu registrieren?

A. Tomczak:

Dadurch, dass immer mehr Behandlungen von mehr oder weniger gut ausgebildeten Anbietern in der Ästhetischen Medizin erfolgen, erhöht sich natürlich auch die Zahl der Nebenwirkungen. Um den Patientenschutz zu verbessern und die Zahl der Fehlbehandlungen zu minimieren, haben Behörden auf der ganzen Welt in den letzten Jahren einige Maßnahmen für eine bessere Patientensicherheit vorgenommen.

 

Hier sind zum Beispiel zu nennen:

  • Japan: Verbot von Vorher-Nachher-Bildern für die Ästhetische Chirurgie
  • Australien: strengere Regelungen für Botulinumtoxinanwender
  • Brasilien: nur Dermatologen und Plastische Chirurgen dürfen ästhetische Behandlungen vornehmen
  • Deutschland: Implementierung der neuen NiSV, welche u.a. einen Arztvorbehalt für die Laser-Tattoo-Entfernung enthält
  • Europa: Verabschiedung der Medizinprodukteverordnung mit strengeren Auflagen für die Medizinproduktehersteller (klinische Daten, post market surveillance, etc.)
  • USA: Bann von Lasern und anderen Geräten für den Bereich der Vaginalverjüngung

 

Dies mag das Marktwachstum etwas verlangsamen, ist aber unverzichtbar für den Schutz der Patienten und das Vertrauen der Behandler in angebotene Produkte. Nach meiner Einschätzung werden weitere regulatorische Maßnahmen folgen.

 

Ästhetische Dermatologie:

Sehr geehrte Frau Tomczak, herzlichen Dank für diesen Überblick. In der nächsten Ausgabe freuen wir uns auf das Thema: „Update Eigenblutbehandlungen – wer darf was?“

 

Das Interview führte S. Höppner.