Nadelfrei und alles gut? Der Hype um Hyaluronpens
Interview mit Astrid Tomczak, München
Die Angst vor Schmerzen durch eine Injektion ist einer der größten Hemmschuhe, wenn es um medizinisch-ästhetische Behandlungen geht. Patienten verzichten gar manchmal lieber auf eine Behandlung von Falten, Fältchen oder Lippen, weil die Angst vor dem “Pieks“ schlicht zu groß ist. Die Industrie versucht daher seit Jahren, neue Wege zu gehen.
Ein erster Schritt war die Addition von Lidocain in Hyaluronfiller. Parallel wurden stärkere Betäubungssalben speziell für dermatologische und ästhetische Behandlungen konzipiert. Doch was wäre, wenn der Behandler eine komplett nadelfreie Behandlung anbieten könnte? Kann das die Lösung für Nadelphobiker sein und wer darf solche Behandlungen dann durchführen? Im Interview mit Medizinconsultant Astrid Tomczak LL.M. sind wir dem neuen Hype um so genannte Hyaluronpens auf den Grund gegangen.
Ästhetische Dermatologie:
Es klingt ja fast zu schön, um wahr zu sein! Einfach ohne Nadel Lippen füllen oder Falten behandeln. Wie funktioniert der Hyaluronpen?
A. Tomczak:
Es gibt in der Zwischenzeit unterschiedliche Modelle von Hyaluronpens am Markt. Ihnen gemeinsam ist jedoch das prinzipielle Wirkprinzip: hoher Druck! Mit bis zu 800 km/h wird laut Werbeaussagen quervernetzte oder unvernetzte Hyaluronsäure in die obersten Hautschichten geschossen. Die Pens bauen die hohe Geschwindigkeit durch einen sehr starken Federmechanismus und in Verbindung mit Druckluft auf. Die Abgabemenge kann in der Regel vorab eingestellt werden. Der Einschleusemechanismus wird dann einfach per Klick ausgelöst, die Hyaluronsäure überwindet durch den hohen Druck die Hautschutzbarriere und landet im Gewebe. Damit die Hyaluronsäure mit dem Pen appliziert werden kann, gibt es kleine Dosierkammern, in die vorab das zu verabreichende Präparat eingefüllt wird. Diese Kammer wird dann vorne auf den Pen aufgeschraubt und bei der Applikation fest auf die Haut aufgedrückt.
Ästhetische Dermatologie:
Welche Indikationen können mit den Hyaluronpens behandelt werden?
A. Tomczak:
Die Bewerbung erfolgt für die üblichen Lokalisationen, die auch mit der traditionellen Faltenunterspritzung behandelt werden. Das Spektrum reicht also von Nasolabialfalte, Nasendreieck, Kinnfalten, Lippenfältchen, Volumenaufbau im Wangenbereich bis hin zum Klassiker: dem Lippenaufbau bzw. der Korrektur von asymmetrischen Lippen.
Ästhetische Dermatologie:
Wo kann ich eine solche Behandlung durchführen lassen bzw. ein entsprechendes Gerät erwerben?
A. Tomczak:
Nach meinen Recherchen werden die Behandlungen derzeit ausschließlich in Kosmetikstudios und Spas angeboten und dort von Kosmetikerinnen durchgeführt. Die Geräte sind im Vertrieb von verschiedenen Kosmetikfirmen. Diese vertreiben dann auch das entsprechende Zubehör, also die Dosierkammern und die Hyaluronsäure.
Ästhetische Dermatologie:
Kann mit dieser Anwendung ein der klassischen Faltenbehandlung entsprechendes Ergebnis erzielt werden?
A. Tomczak:
Das möchte ich bezweifeln. Bei der Pen-Behandlung, die ich mir selbst angesehen habe, ist das Produkt jedenfalls nicht in der Lippe, sondern darüber, im Bereich der Oberlippe, gelandet. Es war als kleiner Hubbel sichtbar. Wer schon einmal eine Faltenunterspritzung live gesehen hat oder diese selbst regelmäßig bei Patienten durchführt, weiß, dass es sich um eine sehr feine Arbeit handelt, die eine genaue Dosierung an der richtigen Stelle und in der richtigen Hautschicht mit dem passenden Material erfordert. Gerade in der Lippe machen kleine Produktmengen optisch einen sehr großen Unterschied und die richtige Injektionstechnik entscheidet mit darüber, ob das finale Ergebnis ästhetisch ansprechend ist. Wenn mit 800 km/h Produkt in die Haut oder die Lippe geschossen wird, kann ich mir nicht vorstellen, dass Dosierung und Hautschicht exakt gewählt werden können. Die Viskositäten der dafür benutzten Hyaluronsäuren sind sicher auch nicht mit den Qualitäten der bekannten Hyaluronanbieter aus der Ästhetischen Medizin vergleichbar. Fraglich ist, selbst bei Verwendung eines Markenprodukts, ob die Konzeptionen klassischer Filler dem hohen Druck standhalten und damit ihre optimale Performance im Sinne von Hebekapazität und Haltbarkeit entwickeln können. Sie werden beim Auslösen des Geräts durch den kleinen Auslass der Dosierkammer in die Haut gepresst. Dafür sind sie im Rahmen des Herstellprozesses nicht getestet worden. Es hat einen Sinn, warum Hersteller beispielsweise bestimmte Nadeln für ein definiertes Produkt empfehlen.
Ästhetische Dermatologie:
Haben Sie den Eindruck, dass bei dieser Technologie auch die Gefahr von Nebenwirkungen bestehen kann?
A. Tomczak:
Wenn man der Werbung Glauben schenken darf, ist das Verfahren nebenwirkungsfrei und schmerzarm. Da nur in den obersten Hautschichten gearbeitet wird, kann angeblich nichts passieren. Da alle verwendeten Geräte als Kosmetikgeräte deklariert sind, gibt es keine Sicherheitsdaten, wie sie z.B. ein Medizinprodukt im Konformitätsbewertungsverfahren zeigen müsste. Bei der angegebenen Geschwindigkeit von 800 km/h in Kombination mit dem direkten Aufsetzen des Geräts auf die Hautoberfläche würde ich davon ausgehen, dass die Materialplatzierung mindestens intrakutan erfolgt. Anders als in der Lederhaut sind hier viele Blutgefäße vorhanden, die durch einen eingeschossenen Materialboli verlegt werden und somit in Folge einer Sauerstoffunterversorgung zu Nekrosen führen könnten. Über die Eindringtiefe, die sicherlich für verschiedene Materialviskositäten unterschiedlich ist, lassen sich bis dato keine verlässlichen Daten ermitteln. Sieht man sich jedoch die sehr gute Datenlage vergleichbarer nadelfreier Technologien an, werden dort mit geringeren Geschwindigkeiten und im 1-cm-Abstand zur Haut Eindringtiefen bis zum Stratum Reticulare, also in eine an die Subkutis angrenzende Schicht, nachgewiesen. Eine weitere Gefahr sehe ich hinsichtlich der Sterilität der verwendeten Produkte. Sowohl die Hyaluronsäure als auch die Dosierkammern müssen sterile Einmalprodukte sein, um die Infektionsgefahr auf ein Minimum zu reduzieren. Ich denke hier an die früher verwendeten Impfpistolen, deren Masseneinsatz mit vergleichbarer Technik und Anwendung eben wegen der damit einhergehenden Infektionsgefahr massiv eingeschränkt wurde. Manche der Pens haben zudem vorne eine winzig kleine Nadel, die das Gewebe des Patienten penetriert. Auch hier muss natürlich die Sterilität beim Patientenwechsel gewahrt bleiben.
Ästhetische Dermatologie:
Gibt es nach Ihrer Ansicht auch rechtliche Bedenken in Zusammenhang mit den Geräten und deren Anwendung?
A. Tomczak:
Hier sind einige Punkte zu nennen, die ich als Anmerkung formulieren möchte: • Die verwendete Hyaluronsäure sollte zum Patientenschutz als Medizinprodukt zertifiziert sein, da eine gewisse Verweildauer in der Haut zu erwarten ist. Sie ist insofern den klassischen Fillerprodukten in Fertigspritzen gleichzusetzen.
- Gleiches gilt für die Dosierkammern, die als sterile Einmalprodukte konzipiert und dem Medizinprodukteregime unterworfen werden sollten.
- Bejaht man beides, könnte der Pen als Zubehör im Sinne des Medizinproduktegesetz zu betrachten sein. Für das Zubehör zu einem Medizinprodukt gelten die gleichen Anforderungen wie für das Medizinprodukt selbst.
- Die Anwendung des Pens könnte die Grenze von bloßer Kosmetik hin zu einer Ausübung der Heilkunde überschreiten. Dieser Ansatz ist insbesondere dann überlegenswert, wenn die Pens mit Nadeln ausgestattet sind.
- Daraus folgend würde sich der Anwenderkreis zu Ärzten und anderen zur Ausübung der Heilkunde befugten Therapeuten verschieben.
All dieses müsste man natürlich im Detail beleuchten, es sind jedoch Fragen, die nach meiner Ansicht nicht völlig aus der Luft gegriffen sind, sondern schon im Sinne des Patientenschutzes der Klärung bedürften.
Ästhetische Dermatologie:
Wir bedanken uns ganz herzlich für das Interview und freuen uns in der nächsten Ausgabe auf Informationen zum Thema: “News aus dem Think Tank – technologische Innovationen für die Ästhetische Medizin“.
Das Interview führte S. Höppner.