Pilotprogramm „Orthokids“: App hilft, orthopädische Probleme bei Kindern schneller zu erkennen
Der Kongresspräsident des diesjährigen DKOU (Deutscher Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie) in Berlin, Dr. med. Burkhard Lembeck, stellte vor Ort das Pilotprogramm „Orthokids“ vor; dahinter steht das Ziel, dass Ärztinnen und Ärzte rechtzeitig orthopädische Probleme bei Kindern entdecken. Darin enthalten ist die Ergänzung der bestehenden Präventionsuntersuchung J1 (Jugendgesundheitsuntersuchung Eins) sowie eine App für Kinder.
Laut aktueller Aussagen der WHO (World Health Organization) und des Vierten Deutschen Kinder- und Jugendsportberichts (2020) bewegen sich Kinder und Jugendliche nicht ausreichend. Auswirkungen der Corona-Pandemie wie Schließungen der Sportvereine und fehlender Sportunterricht verstärken diese Tendenz zusätzlich. Lembeck vermutet: „In 25 Jahren sprechen wir von der orthopädischen Corona-Generation. Übergewicht und die damit verbundene höhere Belastung der Gelenke kennzeichnen später die Generation der jetzt 11- bis 16-Jährigen.“ Der Experte begründet seine Befürchtung damit, dass die körperliche Konditionierung im Erwachsenenalter in den jungen Lebensjahren von 11 bis 16 entsteht. Die aktuell geringe Bewegungsmentalität in dieser Altersgruppe und die Corona-bedingten Einschränkungen wirken dabei kontraproduktiv. Hier sieht Lembeck für Kinder und deren Eltern in der Prävention einen Lösungsweg: Orthokids.
Die Orthokids-Studie verfolgt das Ziel, die gesundheitlichen Vorteile einer ergänzenden orthopädischen präventiven Untersuchung der Kinder bei gleichzeitiger Kostenentlastung des Gesundheitssystem zu belegen. Lembeck: „Orthokids wird bundesweit kommen!“ Orthokids ist ein Pilotprojekt des BVOU (Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V.) mit der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW). Die Studie startet Ende 2021.
Bisherige orthopädische Vorsorgeuntersuchung bei Kindern reicht nicht aus
„Wer im Alter schlank und sportlich sein will, muss dafür als Kind und Jugendlicher die Weichen stellen“, so der Kongresspräsident. Er unterstreicht, dass neben den Eltern auch der Staat gefordert ist: „Die aktuelle Pflichtuntersuchung bei Orthopäden ist gut, aber reicht nicht.“ In der J1 führt der Kinder- oder Hausarzt zwar eine allgemeine gesundheitliche Überprüfung durch, doch das reicht dem Orthopäden Lembeck nicht: „Eine ausreichende Früherkennung, welche die orthopädische Problembildung schon im Ansatz ausmacht, ist so nicht möglich.“ Der Kongresspräsident Lembeck macht deutlich: „Eine orthopädische Zusatzuntersuchung für 11- bis 13- Jährige gehört ins feste Untersuchungsportfolio in Deutschland.“
Lembeck strebt an, diese weitere Präventionsuntersuchung gesetzlich zu etablieren. Das Argument, dass dies Kosten verursache, lässt Lembeck nicht gelten: „Eine Früherkennung mit rechtzeitiger Problembeseitigung ist für das Gesundheitssystem deutlich günstiger als spätere Knie- oder Hüftoperationen.“ Weiterhin ergänzt er: „Auch internistische Folgeerkrankungen wie Diabetes können wir so besser verhindern.“ Er erweitert seinen Standpunkt damit, dass Übergewicht und fehlende Bewegung Probleme wie Beinachsenfehlstellungen, Fußdeformationen oder Hüftgelenkpfannenfehlbildungen (Dysplasie) verursachen. Diese führen zu Bewegungseinschränkungen, welche die Lebensqualität einengen und zu Krankschreibungen führen, die ebenso zu vermeidbaren wirtschaftlichen Kosten beitragen. Das Hauptziel sieht Lembeck in der Erhöhung der frühzeitig entdeckten orthopädischen Auffälligkeiten mit anschließenden Behandlungsmaßnahmen zur Korrektur dieser Probleme.
Die Orthokids-App bringt die Gesundheit zu den Kindern
„Wir müssen die Prävention zu den Kindern bringen, und nicht andersherum“, mahnt Lembeck und sagt, dass eine App der moderne Weg sei: „Mit dieser Gesundheits-App sind wir immer da, wo wir sein müssen: beim Kind!“ Die App beinhaltet persönliche Angaben wie Gewicht, Geschlecht und Alter des Kindes und erfasst dessen sportliche Aktivitäten. Diese Daten kann die Ärztin oder der Arzt auswerten und mit einer individuellen Beratung auf das Verhalten des Kindes und der Eltern positiv einwirken. Unterstützt wird dies mit den Ergebnissen der erweiterten Vorsorgeuntersuchung. Mit Erinnerungen, Therapieplänen, Tipps und Wissensvermittlung bietet die App weitere Funktionen an, die das Bewusstsein und die aktive Handlung unterstützen. Lembeck ergänzt: „Sogar eine Chatfunktion mit Videounterstützung bietet die App“, und sieht darin die beste Chance der interaktiven engen Kommunikation. Eine Datenbank erfasst sämtliche Daten und erfüllt die sichere Datenhaltung nach Paragraf 291d SGB V (Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch). Ein Studienverwaltungstool wertet die Ergebnisse und Korrelationen aus, die dann Grundlage für die spätere Gesamteinschätzung sind. Lembeck will mit dieser App Kindern und Eltern bei der Prävention helfen: „Kinder müssen ein Bewusstsein für Ernährung und Bewegung entwickeln.“ Genau das geschieht nach seiner Ansicht am besten mit einer zeitgemäßen Kommunikation zwischen Kind, Eltern und Arzt. „Prävention ist Teamarbeit zwischen Kind, Eltern und Arzt“, so der Kongresspräsident.
Drei Tipps für eine gesunde Haltung bei Kindern
Dr. med. Burkhard Lembeck kann drei wichtige Tipps für eine gesunde Haltung bei Kindern geben:
- Möglichst alle zehn Minuten die Sitzposition verändern.
- Der Schulranzen soll nicht schwerer als zehn Prozent des Körpergewichtes sein.
- Regelmäßiges Training zur Stärkung der
Rumpfmuskulatur.
Eine Erfolgsstory: Orthopäden zeigen Schülern im Klassenzimmer gesunde Sitzhaltung
Seit 2019 zeigen die Orthopäden des BVOU mit der Aktion „Haltung zeigen“ ehrenamtlich in Schulen den Kindern und Lehrern, worauf bei einer gesunden Sitz- und Körperhaltung zu achten ist und wie ein Schulranzen korrekt getragen wird. Dazu führen die Ärztinnen und Ärzte mit den Schülerinnen und Schülern spielerisch Übungen durch, um die für die Haltung wichtige Muskulatur zu stärken. Lembeck: „Die Kinder verbringen viel Zeit sitzend im Klassenzimmer. Wer schon in der Schule falsch sitzt, bekommt Jahre später Rücken- und Nackenprobleme. Die Prävention von Haltungsschäden muss bei Kindern spielerisch passieren und ohne Druck.“
Lembeck resümiert: „Unser Ziel ist es, bei Kindern und Eltern das Bewusstsein für eine gesunde Entwicklung der Wirbelsäule zu schärfen. Nur so vermeiden wir spätere Haltungsschäden der Kinder.“ Die Aktionswoche „Haltung zeigen“ findet immer Ende November an teilnehmenden deutschen Grundschulen statt. Im Fokus stehen die Kinder der fünften und sechsten Klasse. Lembeck beobachtet mit Sorge die Entwicklung der letzten Jahre: „Die aktuellen Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten begünstigen Haltungsschäden der Kinder.“ Er ergänzt: „Ohne die Eltern funktioniert keine Prävention gegen Haltungsschäden der Kinder.“
Quelle: DKOU