Orthopädie

Multimodal konservativ oder operativ – Therapiestrategien nach BWS-Verletzungen

Die Brustwirbelsäule (BWS) erfüllt verschiedene Funktionen und trägt unter anderem zur Atmung, Rumpfstabilisation, Oberkörperbeweglichkeit, Aufhängung des Schultergürtels und Körperhaltung bei. BWS-Verletzungen erfordern multimodale Therapieansätze, die je nach Schweregrad angepasst werden.

Verletzungen der Brustwirbelsäule (BWS) erfordern eine genaue Analyse des jeweiligen Falls. Zur Erfassung der Schmerzen müssen Nozigeneratoren und Veränderungen der motorischen Muster identifiziert werden. Dabei werden die motorische Systemaktivierung der autochthonen Muskulatur und Bewegungskontrolldysfunktionen sowie viszerale Efferenzen berücksichtigt, schilderte Dr. Mark Maxis, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie in Berlin, bei einer virtuellen Session im Rahmen des diesjährigen DKOU.

Periphere oder zentrale Sensibilisierungen können zur Chronifizierung von Schmerzen in der BWS beitragen. Außerdem sollten inhibitorische Systeme wie der Einfluss einer Depression auf die Schmerzmatrix und inhibitorischen deszendierenden Bahnen ebenfalls erfasst werden, empfahl der Experte.

Interdisziplinäre Abstimmung

Zur Erfüllung des multimodalen Therapieansatzes werden zum Beispiel Orthopäden/Unfallchirurgen, Schmerztherapeuten, Psychologen, Physiotherapeuten und Orthopädietechniker involviert. Die Therapie wird interdisziplinär auf die individu- ellen Bedürfnisse des Patienten abgestimmt. Dafür werden Interventionen im Zusammenspiel mit Ansätzen der manuellen Medizin, Physiotherapie, physikalische Verfahren, komplementäre Verfahren (z.B. Akupunktur, Phytotherapie und Neuraltherapie), sensomotorisches Training, Entspannungsverfahren, Entlastungsorthesen sowie pharmakologische Maßnahmen eingeleitet.

Die Pharmakotherapie bietet Analgetika, die sowohl peripher (z.B. ASS, NSAID, PCM und Metamizol) als auch zentral wirksam sind, wie z.B. Opioide (u.a. Tramal, Tilidin, Morphin und Oxycodon), so Maxis. Zu den Koanalgetika zählen Antidepressiva (z.B. Trizyklika, SSRI, SNARI und SNDRI), Antikonvulsiva wie beispielsweise Carbamazepin, Gabapentin und Pregabalin sowie antiresorptive oder osteoanabole Substanzen wie Bisphosphonate, Teriparatid und Denosumab.

Insbesondere bei Hochbetagten sind unter anderem Multimorbidität, Ernährungszustand (Adipositas oder Kachexie), sensorische Defizite, psychomentale Defizite und Haut- und Immunstatus zu berücksichtigen, betonte Dr. med. Volker Liefring, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin in Kemmen. Altersentsprechend sollten schonende Verfahren bezügliche Anästhesie und ggf. OP (z.B. Fast-track-Verfahren) mit Rehamaßnahmen und Prähabilitation eingeleitet werden.

Thorakale segmentale Funktion ist essenziell für die Organfunktion

Funktionsstörungen an der BWS begünstigen biomechanische Fehlleistungen aufgrund von fehl- geleiteten Reflexen oder Blockaden (Schutzreflex), die weitere organische Beschwerden nach sich ziehen können (z.B. Oberbauchbeschwerden, thorakale Enge, leichte reaktive Depression, vermehrtes Schwitzen). Einzelne Segmente der Wirbelsäule stellen verschiedene Ursprungsneurone des vegetativen Nervensystems von Organen wie Lunge, Herz, Leber, Magen oder Darm, erläuterte Dr. Hein Schnell, Orthopäde und Unfallchirurg in München. Daher empfahl der Experte, mit Hilfe der manuellen Medizin die jeweilige Funktionsstörung palpatorisch ausfindig zu machen, um herauszufinden, welche Segmente der BWS im jeweiligen Fall betroffen sind.

Manualmedizinische Möglichkeiten

Manualmedizinische Möglichkeiten setzen segmentale propriozeptive Reize mit Provokation und dem Erfassen des typischen Verhaltens bei passiver Bewegung, um so festzustellen, inwiefern Segmente schlecht bewegt werden können oder Muskelverhärtungen und -anspannungen vorliegen. Manualmedizinische Befunde liefern oft eine plausible Erklärung für begleitende organische Beschwerden, so die Erfahrung von Schnell.

Klassifikation osteoporotischer Wirbelfrakturen

Dr. med. Oliver Gonschorek, Leitender Arzt der Wirbelsäulenchirurgie an der BG Unfallklinik in Murnau, stellte u.a. die Klassifikation osteoporotischer Wirbelfrakturen (OF 1-5) und entsprechende Interventionen vor. OF 1 beschreibt ein Wirbelkörper-Ödem (MRT-STIRR-Sequenz) ohne Deformationen. Patienten mit OF 1 werden in der Regel konservativ behandelt mit medikamentöser Analgesie, rumpfstabilisierenden Übungen, Rückenschule und physikalischen Therapien, so Gonschorek. OF 2 umfasst (keilförmige) Deformationen mit geringer oder ohne Hinterwandbeteiligung. Diese Patienten werden ebenfalls konservativ behandelt, in Einzelfällen zusätzlich mit Orthesenversorgung und bei OP-Indikation mit Wirbelsäulenaugmentation. Deformationen mit ausgeprägter Hinterwandbeteiligung (>1) werden in partielle Hinterkanten-Vorwölbung und scharf abgrenzbares partielles Hinterkanten-Fragment gegliedert. Eine Kneifzangenfraktur, Wirbelkörperkollaps und Verlust der Rahmenstruktur tragen die Klassifikation OF 4, während OF 5 Distraktions- und Rotationsverletzungen beschreibt. In diesen Fällen ist meistens eine Operation indiziert zur Versorgung mit langstreckiger dorsaler Instrumentierung. Eine kurzstreckige dorsale Instrumentierung wird nur empfohlen bei reiner Zuggurtungs-Situation oder der Rekonstruktion der ventralen Säule, so Gonschorek.

Prinzipiell sollten moderne minimalinvasive Verfahren bevorzugt zum Einsatz kommen und zur korrekten Reposition der Segmente jeder Fall individuell betrachtet werden, um dauerhafte Fehlstellungen zu vermeiden, so der Rat des Experten.

Quelle: Virtuelle Session „Die BWS-Kompressionsverletzung aus verschiedenen Perspektiven“ im Rahmen des DKOU, 26. Oktober 2021