Setzen 6?! Aktuelle Rechtsprechung zu Bewertungsportalen
Interview mit Astrid Tomczak, München
Bewertungsportale haben sich längst vom bloßen Informationsmedium zum Marketinginstrument gemausert. Zu jeder erfolgreichen und kompletten digitalen Marketingstrategie gehört auch eine gepflegte und permanent aktualisierte Präsenz auf den größten Bewertungsportalen im Internet. Das mag man als Praxisinhaber gut oder schlecht finden – nicht präsent zu sein, ist jedenfalls keine Lösung. Zum einen bedeutet dies potenzielle Nachteile gegenüber direkten Wettbewerbern, zum anderen sind die Bewertungsportale ein nicht zu unterschätzender Faktor in puncto Google-Ranking. Und – das haben auch Internet-Muffel inzwischen gelernt – Patienten informieren sich vor dem Besuch in einer Praxis gerne zunächst online über die Behandler und das Angebot. Gerade Praxen, die neu starten oder sich auf Selbstzahlerleistungen wie medizinisch-ästhetische Leistungen spezialisiert haben, sind von einer erfolgreichen Akquise über verschiedene digitale Kanäle in höchstem Maße abhängig. Heißt das aber auch, dass man alles, was so auf Bewertungsportalen passiert, akzeptieren muss? Im Interview mit Medizinconsultant Astrid Tomczak LL.M. (Pharmarecht) haben wir uns über die aktuellen Gerichtsurteile in diesem Bereich ausgetauscht.
Astrid Tomczak
DISKURS Dermatologie:
Die grundsätzliche Frage, die sich uns zunächst stellt, ist die, ob man sich der Nennung auf solchen Portalen überhaupt entziehen kann?
Astrid Tomczak:
Und das ist eine sehr grundlegende und gute Überlegung, die auch einige Ärzte zu Klagen gegen Portalbetreiber wie Jameda und Sanego veranlasst haben. Schließlich wurde das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als Grundrecht (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausdrücklich erwähnt. Im Einzelnen bedeutet es, dass in Deutschland grundsätzlich jeder selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten bestimmen kann. Dabei ist der Grundrechtsschutz personenbezogener Daten weit gefasst. So kann beispielsweise auch ein an sich belangloses und zusammenhangloses Datum durch die technischen Möglichkeiten neuer Verarbeitungs- und Verknüpfungssoftware zu Bedeutung gelangen. Es gibt daher insofern keine belanglosen Daten.
Konkret ging es in einer Klage aus 2018, die 2022 vom Bundesgerichtshof (BGH VI ZR 692/20) entschieden wurde, um eine Augenärztin, die auf dem Bewertungsportal Jameda eine negative Bewertung eines Patienten mitsamt ihrem Basiseintrag löschen lassen wollte. Der Basiseintrag ist
ein kostenfreier Eintrag, der lediglich die Adressdaten des Arztes sowie Namen, Fachrichtung und Kontaktdaten erfasst. In der Bewertung wurde die Ärztin als „arrogant, unfreundlich und unprofessionell“ bezeichnet. Die Ärztin hatte dem Basiseintrag bei Jameda nie zugestimmt, sondern wurde nur durch die negative Patientenbewertung auf ihre Listung aufmerksam. Während ihr das Landgericht als zuständige erste Instanz die Löschung der Basisdaten zugestand, verlor die Ärztin in den beiden Folgeinstanzen. Der Basiseintrag inklusive der negativen Bewertung bleibt damit bestehen.
Oberlandesgericht und Bundesgerichtshof haben ihre Entscheidung mit der besonderen Funktion der Bewertungsportale begründet. Danach sind diese neutrale Informationsmittler, die das ausdrückliche Recht von Patienten auf freie Arztwahl mit einer möglichst vollständigen Nennung aller am Markt agierenden Ärzte unterstützen. Es handele sich um eine von der Rechts- ordnung gebilligte und gesellschaftlich erwünschte Funktion. Hinter dieser müsse das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Ärztin zurückstehen. Der Hilfsantrag, welcher die Löschung der negativen Bewertung zum Ziel hatte, wurde ebenfalls abgelehnt. Die Grenze zur Schmähkritik sei nicht überschritten worden. Es handle sich um eine freie Meinungsäußerung, die auf einem tatsächlichen Besuch bei der Ärztin beruhe und daher nicht jeder Tatsachengrundlage entbehre. Der Bundesgerichtshof bestätigt mit diesem Urteil seine Haltung zu Arztbewertungsportalen ein weiteres Mal. Mithin ist von einer gefestigten Rechtsprechung auszugehen. Ärzte müssen die Listung in Portalen hinnehmen. Es gibt insofern kein „Entkommen“.
DISKURS Dermatologie:
Negativbewertungen sind ein häufiges Streitthema, wenn es um Ärzte- und Klinikportale geht. Welche rechtlichen Fallstricke gibt es hier für Portalbetreiber?
Astrid Tomczak:
Ein ganzer wichtiger Aspekt ist, dass Portalbetreiber hohe Anforderungen an Richtigkeit und Wahrheit von Bewertungen stellen müssen. Bereits 2016 hatte der BGH die Prüfpflichten von Bewertungen auf dem Portal Jameda konkretisiert (BGH, Urteil vom 01.03.2016 – VI ZR 34/15). Im Kern beschäftigt sich das Urteil mit einer negativen, anonymen Arztbewertung, die durch den betroffenen Arzt mit dem Argument bestritten wurde, dass er die getroffenen Aussagen keinem Patienten zuordnen könne. Der Arzt beantragte bei Jameda daher die Löschung der Bewertung. Das Portal folgte der Aufforderung zunächst, stellte die Bewertung zu einem späteren Zeitpunkt jedoch unverändert wieder ein. Der Arzt forderte von Jameda daraufhin Auskunft darüber, wie der Verfasser die Behandlung nachgewiesen habe. Diese Auskunft wurde vom Portal mit Hinweis auf datenschutzrechtliche Bestimmungen verweigert. Der BGH erteilte diesem Vorgehen eine Absage. Zwar übernähmen Portale die Bewertungen von Patienten nicht als eigene Meinung, sondern stellten diese lediglich anderen potentiellen Patienten und Nutzern zur Verfügung. Dies entbinde sie jedoch nicht von im Einzelfall festzulegenden Prüfpflichten. Dabei gelte der Grundsatz, je schwerer die mögliche Persönlichkeitsrechtsverletzung sei, desto umfangreicher seien die Prüfpflichten des Portals. Im vorliegenden Fall hätte das Portal den Patienten daher kontaktieren und den Behandlungskontakt belegende Unterlagen wie etwa Bonushefte, Rezepte oder sonstige Indizien verlangen müssen. Dieses Urteil stärkt daher insbesondere die Rechte anonym bewerteter Ärzte. Denn der BGH sieht in solchen Meinungsäußerungen angreifbare Tatsachenbehauptungen dahingehend, dass eine Behandlung als Grundlage für die Meinungsäußerung vorgelegen haben muss. Portale haben daher Prüfpflichten und müssen gegebenenfalls Belege einfordern. Eine schlichte Anfrage beim Verfasser einer Bewertung ist danach regelmäßig nicht ausreichend.
In einem Urteil des Bundesgerichts- hofs aus 2017 wurde zudem klargestellt, dass sie nicht eigenmächtig Bewertungen von Patienten abändern dürfen (BGH, Urteil vom 4. April 2017 – VI ZR 123/16). Hintergrund dieses Urteils waren Falschbehauptungen eines Patienten, der aufgrund eigenen Fehlverhaltens nach einem operativen Eingriff in eine lebensgefährliche Sepsis rutschte. Auf dem Bewertungsportal bescheinigte der Patient der Klinik eine massive Fehlleistung. Die Klinik verlangte vom Portalbetreiber eine Löschung der falschen Tatsachenbeschreibung. Dieser änderte darauf- hin die Bewertung des Patienten nach eigenem Gutdünken ab und teilte dies der Klinik mit. Da die Bewertung aber schlichtweg falsch war, erhob die Klinik Klage mit dem Ziel, den Eintrag komplett löschen zu lassen. Der BGH gab der Klinik recht. Der Portalbetreiber hatte durch die Änderung der Bewertung seine Rolle als neutraler Informationsmittler verlassen. Da die Änderungen insbesondere ohne Rücksprache mit dem Patienten erfolgten, ist die Bewertung der Klinik wie eine Bewertung durch den Portalbetreiber selbst zu sehen. Er übernimmt damit die inhaltliche Verantwortung für die gemachten Äußerungen.
DISKURS Dermatologie:
Das Sammeln von Google-Bewertungen ist eine beliebte, aber zeitaufwändige Marketingstrategie. Wie bewerten Sie den Kauf positiver Google-Bewertungen?
Astrid Tomczak:
Das ist natürlich eine sehr verlockende Möglichkeit, insbesondere dann, wenn es bereits einige negative Bewertungen gibt. Von diesem Vorgehen kann ich allerdings aus verschiedenen Gründen nur abraten. Grundsätzlich sind Bewertungen nur rechtmäßig, wenn der Bewertende eine eigene Erfahrung mit der Praxis oder Klinik gemacht hat. Nachdem sich das Geschäft mit gekauften Google-Bewertungen immer mehr verbreitete, hat Google offenbar einen eigenen Algorithmus entwickelt, um Bewertungen auf Auffälligkeiten zu prüfen. Dieser Algorithmus kommt insbesondere dann zum Tragen, wenn die Bewertungen von derselben IP-Adresse stammen und sehr viele Bewertungen in kurzer Zeit veröffentlicht werden. Das kann dann dazu führen, dass echte positive Bewertungen blockiert oder gleich nach Veröffentlichung wieder gelöscht werden.
Zudem haben gekaufte Google-Bewertungen auch eine rechtliche Dimension. Sie bieten Mitbewerbern eine Grundlage für Abmahnungen, da sie gegen das deutsche Wettbewerbsrecht verstoßen. Mit dem Kauf werden zudem die Nutzungsbedingungen von Google Maps verletzt. Die beste Strategie ist es immer noch, mit positiven Leistungen zu beeindrucken, Vertrauen zu den Patienten aufzubauen und dann im richtigen Moment um eine positive Bewertung zu bitten.
DISKURS Dermatologie:
Sehr geehrte Frau Tomczak, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte S. Höppner.