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Schönheitsoperationen & Strafrecht, Teil II – Geht die Patientenautonomie über alles?

Interview mit Astrid Tomczak, München

Den Vätern des Grundgesetzes war es besonders wichtig, einen Fokus auf die körperliche Unantastbarkeit und die freiheitliche Entfaltung des Individuums zu legen. Als Ergebnis hat die Verfassung eine liberal-individuell geprägte Ausrichtung, die die körperliche Selbstbestimmung des Einzelnen in den Vordergrund stellt. Bestehende strafrechtliche Vorschriften dienen dazu, auf der einen Seite die Unberührtheit des menschlichen Körpers und auf der anderen Seite seine Möglichkeiten zur freien Entfaltung und Gestaltung sicher zu stellen. Bei medizinischen Wunschleistungen ist daher die Patienteneinwilligung von zentraler Bedeutung. Auf ihrer Basis wird die durch den ästhetischen Eingriff bewusst vollzogene Schädigung der körperlichen Integrität legitimiert. Im Interview mit Medizinconsultant Astrid Tomczak LL.M. (Pharmarecht) wollen wir den Anforderungen an eine wirksame Einwilligung – und deren Grenzen – auf den Grund gehen.

MÄC:

Frau Tomczak, welche grundsätzlichen Einschränkungen kennt das Gesetz bezogen auf schönheits- medizinische Eingriffe?

Astrid Tomczak:

Wie eingangs erwähnt, dürfen wir uns grundsätzlich an einer liberalen Rechtsausrichtung erfreuen. Dennoch hat der Staat Schutz- und Fürsorgepflichten, die im Einzelfall der freien Entfaltung des Individuums zuwiderlaufen mögen. In gewisser Hinsicht ist der Arzt hier Exekutive und setzt diese besonderen Pflichten, die gesetzlich z.B. in § 228, StGB (Einwilligung in die Körperverletzung) niedergelegt sind, um. In erster Linie sollen dadurch Personen geschützt werden, die nicht selbstbestimmungsfähig sind oder sich nicht selbstbestimmt verhalten können. Allerdings gilt diese Vorgabe auch für vollumfänglich einwilligungs- und einsichtsfähige Patienten, was rechtlich nicht unproblematisch ist.

Mit dem Patientenrechtegesetz aus 2014 wurden weitere, bis dato durch Richterrecht formulierte Pflichten des Arztes kodifiziert. Diese gelten für medizinisch notwendige Eingriffe genauso wie für Wunschbehandlungen. Neben dem Recht auf Information (§630c II 1, II 2 BGB), Einsichtnahme in die Patientenakten (§ 630 g BGB) und Dokumentation der Behandlung (§ 630 f BGB) wurde auch das Recht auf eine standard- gemäße Ausführung der Behandlung (§ 630a I, II BGB) niedergelegt. Eine für die Medizin insgesamt und die geltende Therapiefreiheit des einzelnen Arztes nicht unproblematische Regelung. Ein medizinischer Standard mag sich nämlich im Streitfall an Rechercheumfang und den persönlichen Erfahrungen eines einzelnen gerichtlichen Sachverständigen orientieren. Inwiefern das Ergebnis dieses Gutachtens dann in jedem Fall dem richtigen ärztlichen Vorgehen entspricht, bedarf kritischer Betrachtung.

Als logische Fortführung des bereits erwähnten Selbstbestimmungsrechts aus Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG kann der Patient zudem entscheiden, ob und von wem er behandelt werden will und zu welchem Zeitpunkt.

MÄC:

Welche Anforderungen werden derzeit an eine gültige Patienteneinwilligung für medizinische Wunschbehandlungen gestellt?

Astrid Tomczak:

Eine gültige Einwilligung setzt eine umfassende Aufklärung des Arztes voraus. Die Aufklärung besteht dabei aus verschiedenen Elementen. Zunächst sind selbstverständlich alle Informationen zu geben, die bezüglich des gewünschten Eingriffs relevant sind. Um sein Selbstbestimmungsrecht adäquat nutzen zu können, muss der Patient sämtliche Fakten erfahren. Dazu gehören im Rahmen der Grundaufklärung u.a. angewendete Techniken und Produkte, deren Vor- und Nachteile, sämtliche, auch unwahrscheinliche Risiken, Ausfallzeiten, Behandlungsdauer, mögliche notwendige Folgebehandlungen, Narbenbildung- und Narbenverlauf, Heilungsverlauf und weiteres mehr. Im Rahmen der Sicherungs- oder therapeutischen Aufklärung ist der Patient über die Regeln und Maßnahmen zu informieren, die vor und nach der eigentlichen Behandlung zu beachten bzw. durchzuführen sind. Zu guter Letzt ist zudem eine wirtschaftliche Aufklärung durchzuführen. Diese hat alle finanziellen Aspekte des Eingriffs inklusive möglicherweise notwendiger Folgebehandlungen oder Interventionen bei auftretenden Nebenwirkungen zu umfassen.

Die Rechtsprechung hat hierzu den Begriff der „schonungslosen Aufklärung“ geprägt. Das bedeutet in der praktischen Umsetzung ein umso ausführlicheres und eindringlicheres Gespräch über die Erfolgsaussichten und mögliche Problematiken eines Eingriffs, je weniger dieser medizinisch indiziert ist. Der BGH hat dazu bereits 1991 (BGH, MedR 1991, 85 f.) festgestellt, dass die Pflichten zur Aufklärung über die Möglichkeiten schädlicher Folgen umso weitgehender sind, je weniger der Eingriff aus der Sicht eines vernünftigen Patienten vordringlich oder geboten ist.

Für die Rechtssicherheit von Arzt und Patient hat das OLG München in einem Urteil (Urteil vom 09.06.2011 – 1 U 5076/10) nochmals die Bedeutung einer schriftlichen Aufklärung auf Grundlage eines ausführlichen und aktuellen Aufklärungsbogens betont. Handschriftliche Ergänzungen und Individualisierungen sichern ab, dass alle relevanten Risiken des Eingriffs in der gebotenen Intensität dargestellt wurden.

Besonders zu betonen ist zudem die Verpflichtung des Arztes, über die zu erwartenden ästhetischen Erfolgsaussichten des Eingriffs zu informieren. Welche Verbesserungen im günstigsten Fall erreicht werden und welche nachteiligen Veränderungen im schlechtesten Fall eintreten können, ist ausführlich und verständlich darzustellen.

MÄC:

Wo sehen Sie die rechtliche Problematik bei der derzeit geltenden Rechtslage?

Astrid Tomczak:

Wir befinden uns hier im Spannungsfeld zwischen grundgesetzlich garantierten Selbstbestimmungsrechten und einer Rechtsaufassung, die stark paternalistisch geprägt ist und eben diese Grundrechte einschränkt. Klar ist, dass der Staat gewisse Fürsorge- und Schutzpflichten gegenüber seinen Bürgern wahrnehmen muss. Die Frage ist jedoch im Einzelfall, wie weit diese gehen und ob sie speziell im Falle von Schönheitsbehandlungen noch zeitgemäß und zu rechtfertigen sind.

Die Grundlagen der heutigen Rechtsaufassung wurden durch höchstrichterliche Urteile zu Beginn der 70er Jahre gelegt. Damals waren operative Schönheitsbehandlungen weit weniger verbreitet und ihre Techniken sowie eingesetzten Produkte bei weitem nicht so ausdifferenziert und sicher wie heute. Man kann ohne Übertreibung feststellen, dass Schönheitsoperationen inzwischen alle Schichten der Bevölkerung erreicht haben, heute durchwegs gängige Behandlungen sind und damit eher die Regel als die Ausnahme darstellen.

Der Informationsvorsprung, den Ärzte aufgrund ihrer Ausbildung vor Patienten haben, besteht selbstverständlich nach wie vor. Allerdings gibt es für interessierte Patienten heute viele Möglichkeiten, sich zu Wunschbehandlungen der Ästhetischen Medizin zu informieren. Fachgesellschaften, Fach- und Massenmedien sowie spezialisierte Ärzte stellen eine Vielzahl von Informationen zu allen Aspekten dieser Eingriffe zur Verfügung. Es wäre daher meiner Ansicht nach an der Zeit, einen Paradigmenwechsel hin zu mehr Patientenautonomie und Patientenverantwortung einzuläuten und damit die Ära einer überbordenden staatlichen Fürsorge zu beenden.

Das Bundesverfassungsgericht als oberste Instanz konnte bislang keine einheitliche Linie zur Dispositionsfreiheit kompetenter, einsichtsfähiger und autonom handelnder Individuen finden. In einem Urteil aus dem Jahre 1967 heißt es noch, „der Staat habe nicht die Aufgabe, seine Bürger zu bessern“ (BVerfG, NJW 1967,1800). Ein Urteil aus dem Jahre 1982 stellt jedoch fest: „Zu gesetzlichen Regelungen, die in das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit eingreifen, ist der Gesetzgeber befugt, wenn sie den Betroffenen daran hindern sollen, sich selbst einen größeren persönlichen Schaden zuzufügen“ (BVerfG, NJW 1982, 2061; ebenso BVerfG, NJW 1994, 1578).

Bisher wird der Patient, der nach einer Wunschbehandlung strebt, also durch eine schonungslose und drastische Aufklärung vor sich selbst geschützt. Der Patient, der jedoch eine potenziell lebensrettende Behandlung ablehnt, darf dies im Rahmen seines Rechts zur Selbstbestimmung jederzeit tun. Auch wenn hier zwei unterschiedliche Ausgangsszenarien vorliegen, wird der Wertungswiderspruch im Hinblick auf die Patientenautonomie meiner Ansicht nach doch recht offensichtlich.

MÄC:

Was ist Ihr Fazit zur derzeitigen Aufklärungspraxis in der Schönheitsmedizin?

Astrid Tomczak:

Das Konzept der schonungslosen und drastischen Aufklärung vor nicht indizierten Eingriffen überzeugt
aus meiner Sicht nicht. Es ist weder zeitgemäß noch kongruent mit der liberal-individualistischen Ausrichtung unserer Verfassung. Der Sinn der ärztlichen Aufklärung liegt in der Wahrung der Patientenautonomie und damit der Chance des Patienten, eine informierte Entscheidung für oder gegen eine Behandlung zu treffen. Es geht also nicht darum, Risiken zu bagatellisieren oder den Indikationsmangel unter den Tisch fallen zu lassen, sondern vielmehr darum, den überhöhten Anspruch der Gerichte auf eine „Totalaufklärung“ in seine verfassungsgemäßen Schranken zu verweisen.

Als Blaupause sollte ein zeitgemäßes Patientenbild dienen und damit ein entscheidungskompetentes, autonomes und einsichtsfähiges Individuum, welches in der Lage ist, laiengerecht aufbereitete medizinische Informationen zu verarbeiten und zu einer Entscheidung zu kommen. Die Verpflichtung über „sämtliche“, „ganz ungewöhnliche“ und „alle auch nur entfernt denkbaren Risiken und Nebenfolgen“ aufklären zu müssen (BGH, MedR 1991, 85 f., OLG Hamburg, Urteil vom 05.03.1982, Az.: 1/U 5/81) öffnet nahezu automatisch das Tor für Aufklärungsmängel der Ärzte. Der Arzt sichert aber mit seiner Informationsvermittlung ausschließlich die Entscheidungsautonomie des Patienten ab und stellt dafür seine Erfahrung und Fachkompetenz zur Verfügung. Er sollte nicht dazu verpflichtet werden, abzuschrecken. Sein Fokus muss neben den praktischen Modalitäten des Eingriffs umfänglich auf folgenden Aspekten liegen: Fehlen der Indikation, Schadensrisiken und Erfolgsaussichten des Eingriffs, ästhetische Chancen und Risiken und inwiefern die Zielsetzung des Eingriffs erreicht werden kann. Je mehr der Patient sich von der Operation erhofft, desto detaillierter sollte auf diese Punkte eingegangen werden.

MÄC:

Sehr geehrte Frau Tomczak, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte S. Höppner