Osteologie

Osteoporose öfter erkennen und behandeln

Die Versorgung von Patienten mit Osteoporose ist deutschlandweit optimierungsbedürftig. Insbesondere Patienten mit osteoporotischer Femurfraktur erhalten noch zu selten medizinische Therapieverfahren, erläuterten Experten wie Prof. Dr. med. Andreas Kurth, Chefarzt an der Orthopädie und Unfallchirurgie an der Klinik Kemperhof in Koblenz bei einem Symposium anlässlich des VSOU-Kongresses.

Zu den wichtigsten Therapiezielen zählen unter anderem die Vermeidung von Stürzen, Erhaltung von Funktion und Beweglichkeit, Reduktion von Schmerzen und die Verhinderung der Progredienz der Osteoporose. Allgemeine Maßnahmen, die der Patient im Alltag umsetzen kann, umfassen beispielsweise regelmäßige körperliche Aktivität, Vermeidung von Immobilisation und Untergewicht sowie eine ausreichende Kalzium- und Vitamin-D- Zufuhr. Medikamentöse Optionen umfassen Desonumab, Bisphosphonate, SERMs, Östrogen, Teriparatid und Romosozumab. In der Regel erfolgt eine medikamentöse Therapie mindestens drei Jahre lang und kann in Abhängigkeit des individuellen Frakturrisikos mitunter lebenslang notwendig sein, so Kurth.

Wirbelkörperfrakturen mit Risiken verbunden

Neben Femurfrakturen treten auch Wirbelkörperfrakturen gehäuft bei Patienten mit Osteoporose auf. Mit dem Alter ab 60 Jahren steigt die Inzidenz für Wirbelkörperfrakturen an, so Prof. Dr. med. Christopher Niedhart, Orthopädische Gemeinschaftspraxis in Heinsberg. [1] Postmenopausale Frauen, die eine Wirbelkörperfraktur aufweisen, haben ein erhebliches Risiko für eine weitere Fraktur innerhalb der nächsten zwölf Monate. [2] Klinische Wirbelkörperfrakturen oder Hüftfrakturen sind bei postmenopausalen Frauen darüber hinaus mit einem erheblichen Anstieg der Mortalität verbunden. [3]

Der Verdacht auf Osteoporose sollte bei Frauen ab 60 Jahren (Männer ab 70 Jahre) nach Möglichkeit schon
vor der ersten Fraktur, aber spätes- tens bei jedem Knochenbruch ohne adäquate Krafteinwirkung abgeklärt werden, so der Rat von Niedhart. Ein weiterer Risikofaktor ist der Status der Komorbidität. Diabetes Mellitus, Rheumatoide Arthritis, Zöliakie, Epilepsie, Schizophrenie, Alzheimer, Parkinson, Herzinsuffizienz und COPD sind häufige Begleiterkrankungen bei Osteoporose. Fraktur- bzw. Sturzrisiken könnten dann zum Beispiel auch aufgrund der Begleitmedikation (ggf. Antidepressiva, Antiepileptika und Opioide) erhöht sein. Wenn das individuelle 10-Jahres-Frakturrisiko über 20% liegt, sollten stets eine Basisdiagnostik mit Anamnese der Risikofaktoren, eine körperliche Untersuchung und apparative Untersuchungen (Röntgen der Wirbelsäule, Knochendichtemessung (DXA-, QCT- oder Ultraschall-Verfahren)), Laborchemie (Knochenstoffwechsel) und ggf. Knochenbiopsie erfolgen.

Proximale Humerusfrakturen

Die Inzidenz von proximalen Humerusfrakturen nimmt mit dem Alter zu, insbesondere bei Frauen. Diese Frakturen sind mit einer signifikanten Sterblichkeit bei stationären Patienten und der Inanspruchnahme von Ressourcen im Gesundheitswesen verbunden. Patienten mit einer solchen Fraktur müssen eine hohe Priorität für eine optimale Behandlung nach der Fraktur erhalten. [4]

Bisphosphonate verhindern Frakturen bei Patienten mit Osteoporose, ihre Wirksamkeit wurde nun auch bei Frauen mit Osteopenie gezeigt. Das Risiko für Frakturen war bei Frauen mit Osteopenie, die über sechs Jahre Zoledronat (5 mg alle 18 Monate) erhielten, signifikant geringer als bei Frauen in der Placebo-Gruppe [5]

Ein kritischer Faktor für das Patientenmanagement ist daher die Fähigkeit, das Frakturrisiko zu bewerten und diejenigen zu identifizieren, die für eine Intervention in Frage kommen, so die Erfahrung von Prof. Dr. med. Uwe Maus, Leitender Arzt Endoprothetik und Osteologie am Universitätsklinikum Düsseldorf. Eine mögliche Hilfestellung bietet FRAX (Fracture Risk Assessment Tool, http://www.shef.ac.uk/FRAX) mit einem computergestützten Algorithmus, der die individualisierte 10-Jahres-Wahrscheinlichkeit für osteoporotische Frakturen an Wirbelsäule, distalem Unterarm und proximalem Humerus berechnet. Zur Risikoklassifikation mittels FRAX werden u.a. prävalente Frakturen, Hüftfraktur der Eltern, Rauchen, Glucocorticoide, Alkoholkonsum, Rheumatoide Arthritis, Alter, Geschlecht und sekundäre Osteoporose herangezogen. [6,7]

Zuerst antiresorptiv oder osteoanabol?

Eine Osteoporose-Therapie ist eine Dauertherapie, es sei denn therapierelevante Risikofaktoren entfallen, betonte Dr. med. Hermann Schwarz von der Praxis für Orthopädie und Schmerztherapie in Freudenstadt. Antiresorptive Therapien sind langjährig möglich, was auch die bisherige Studienlage mit Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit zwischen fünf bis zehn Jahren abdeckt. Antiresorptive Therapien sind meistens die Therapie der ersten Wahl bei Osteoporose. Zu den antiresorptiven Substanzen zählen Bisphosphonate (Ibandronat, Zoledronat, Alendronat, Risedronat), SERMs (Selektive Estrogenrezeptor-Modulatoren z.B. Raloxifen) und Antikörper gegen RANK-Ligand(z.B. Desonumab). Dagegen sind osteoanabole Therapien wie beispielsweise Romosozumab (1 Jahr) und Teriparatid (2 Jahre) zeitlich sehr limitiert. Bei sehr schweren Osteoporosen oder Therapieversagen erwägt Schwarz osteoanabole Therapien. In den meisten Fällen ist im Anschluss an eine osteoanabole Therapie eine Therapiefortsetzung mit antiresorptiven Therapien erforderlich.

Antiresorptive Therapien zielen auf Osteoklasten und führen dort zu verminderter Knochenresorption. Bisphosphonate werden beispielsweise in die mineralisierte Knochenmatrix in umbauaktiven Bereichen eingelagert. SERMs erzielen Effekte über den Östrogenrezeptor und verhindern die Reifung von Präosteoklasten und Hemmen die Funktion von Osteoklasten, erläuterte Schwarz. Desonumab verhindert die Kommunikation zwischen Osteoblast und Osteoklast, was ebenfalls zu einer Verhinderung der Reifung von Präosteoklasten und Hemmung der Funktion von Osteoklasten beiträgt.

Patienten mit schwerer Osteoporose

Für Schwarz ist eine osteoanabole Therapie mit Teriparatid (1x tgl. s.c. für 24 Monate) beispielsweise eine Option für schwere Verläufe und als Reservemedikation geeignet. Kontraindikationen bei Teriparatid sind unter anderem Niereninsuffizienz (mit GFR unter 30 ml/min.), Hyperkalzämie, vorausgegangene Strahlentherapie, maligne Skeletterkrankungen und Knochenmetastasen.

In keiner klinischen Studie wurden die Outcomes zu den Osteoporose-Medikamenten Teriparatid und Risedronat miteinander verglichen. Bei Frauen nach der Menopause mit schwerer Osteoporose war das Risiko für neue Wirbelkörper- und klinische Frakturen unter Teriparatid signifikant geringer als bei Patienten unter Risedronat. Die relative Risikoreduktion für neue Frakturen lag nach zwölf Monaten unter Teriparatid bei 48% und nach 24 Monaten bei 56%, ergänzte Schwarz. [8]

Romosozumab (2x monatlich s.c. für 12 Monate) ist ein monoklonaler Antikörper, der an Sklerostin bindet und dieses hemmt. Es erhöht die Knochenbildung und verringert die Knochenresorption. Romosozumab ist laut Schwarz ebenfalls eine Option bei schweren Verläufen und als Reservemedikation geeignet. Romosozumab ist kontraindiziert u.a. bei Hypokalzämie, Myokardinfarkt oder Schlaganfall in der Historie.
Bei postmenopausalen Frauen mit Osteoporose, bei denen ein hohes Frakturrisiko bestand, führte die 12-monatige Behandlung mit Romosozumab gefolgt von Alendronat zu einem signifikant geringeren Frakturrisiko als Alendronat allein. Frakturen traten bei 9,7% der Patientinnen in der Romosozumab-zu-Alendronat-Gruppe versus 13,0% in der Alendronat-zu-Alendronat-Gruppe auf, was einer relativen Risikoreduktion um 27% unter Romosozumab entsprach (p<0,001). [9]

Quelle: VSOU-Symposium „Osteoporose 2021“, 1. Mai 2021