Osteologie

Progressive diaphysäre Dysplasie Typ 1 (Camurati-Engelmann-Syndrom / CES) – eine osteologische Modellerkrankung

Doz. Dr. Klaus Abendroth

Drevesesstr. 6, 07749 Jena; E-Mail: Klaus.Abendroth@t-online.de

Klaus Abendroth(1), Ben Abendroth(1)

(1) Praxis für Rheumatologieund Osteologie, Jena

Zusammenfassung

  • Die hohe Knochenmasse der 35-jährigen Patientin hat in den letzten 10 Jahren um 44% zugenommen, im appendikulären Bereich sogar um 58%.
  • Die Steigerungsraten der Knochenmasse sind in den letzten Jahren deutlich geringer geworden.
  • Knochenumbauparameter aber in den letzten 10 Jahren unverändert hoch, kein Aktivitätsrückgang.
  • Die klinische Symptomatik ist deutlich gebessert.
  • Eine Reduktion der Krankheitsprogredienz ist angedeutet, aber noch nicht sicher.
  • Die Rolle von uc-Osteocalcin und vom Periost wird diskutiert

Die progressive diaphysäre Dysplasie Typ 1 (Camurati-Engelmann-Syndrom / CES) ist mit einer Mutation im Bereich des TGF-b1-Gens verbunden, das die Knochenbildung in den Diaphysen steuert. Das Wachstum in diesem Knochenbereich ist beim CES offenbar nicht mehr den physiologischen Bedingungen angepasst.

Diaphysen und Schädelknochen werden dicker. Seh- und Hörstörungen drohen. Periodische Schmerzen, Störungen der Kraftentfaltung und Koordination bedingen vor allem Gangstörungen/Watschelgang. Die meist fehlende Menarche behindert die körperliche Entwicklung zusätzlich. Kausal ist die genetische Mutation noch nicht heilbar.

Abb. 1: Diagnose progressive diaphysäre Dysplasie Typ 1.

Abb. 2: Verlauf der Knochen-Fläche (Area), -Masse (BMC) und -Dichte (BMD).

Zielstellung

Unklar ist ob die Veränderungen le- benslang progredient sind, Aufschluss dazu geben sollen Verlaufsbeobachtungen über 10 Jahre

• der Knochenmasse und -struktur – wo findet das Knochenwachstum vor allem statt, ist eine Tendenz der Bremsung der Progression mit zunehmendem Alter erkennbar –

• sowie der labortechnisch erfassbaren Knochenumbauparameter.

• Diskussion der Rolle des Osteocalcins und des Periosts in den unterschiedlichen Knochenregionen.

Verlauf der Knochen-Fläche (Area), -Masse (BMC) und -Dichte (BMD)

Zur Anwendung kam als Methode die DXA-Ganzkörpermessung/Hologic QDR 4500, Analysezeitraum 2010 (Alter 26 Jahre) bis 2019 (Alter 35 Jahre). Die Knochenmasse im Ge- samtskelett (BMC 3,4 kg) war bei der Patientin im Vergleich zur Alters-und Geschlechtsnorm (ca. 1,5-2,0 kg) bereits zu Beginn der Messungen 2010 deutlich erhöht und nahm bis 2019 um ca. 44% auf 4,9 kg BMC zu. Die Knochenmasse im appendikulären Skelett nahm dabei von 1,8 kg 2010 bis 2019 um 59% auf 2,9 kg zu, das sind ca. 6%/Jahr. Die jährliche Steigerung des appendikulären BMC war in den letzten 3 Jahren allerdings mit 2%/Jahr deutlich geringer – ein Zeichen der nachlassenden Progredienz?

Im Vergleich dazu ergaben sich bei gleichbleibender Körpergröße von 1,60 m von 2010 bis 2019 folgende weitere Änderungen (jeweils 2010 vs. 2019): Körpergewicht 47 vs. 58 kg (+ 23%), Muskelmasse 33 vs. 37 kg (+ 10%), Sarkopenie-Index 5,8 vs. 6,5 kg/m2 (+ 11%), Fettmasse 9,3 vs. 15,5 kg (+ 66%). Von 2010 bis 2013 war eine niedrige Muskelmasse grenzwertig zur Sarkopenie festzustellen.

Bestimmung der Knochenumbauaktivität

Messparameter waren fünf Knochenumbauparameter (b-Crosslaps/ Ctx, Desoxypyridinolin, Ostase, Prokollagen-1-Peptid, Osteocalcin), dazu 25 OH D3 und allgemeine Entzündungsparameter periodisch über den Zeitraum von 10 Jahren. Normiert wurden die Mittelwerte, Minimum und Maximum an der Obergrenze der Normbereiches.

Im Mittel waren die Knochenanbau- und -abbauparameter um das 4- bis 7-fache erhöht, mit einem deutlichen Übergewicht der Anbauaktivität (P1NP!). Eine Tendenz zu einer nachlassen Aktivität ist in den 10 Jahren nicht sicher zu erkennen. Die niedrig-normalen Werte für den Knochenabbau (Ctx & DPYD) sind aus der Behandlungsperiode mit Denosumab (Prolia®) im Jahr 2015. Trotz intensiver Supplementierung ist die 25 OH D3 Versorgung nicht optimal.

Auffällig ist, dass die allgemeinen Entzündungsparameter (BSG und CRP), die initial deutlich erhöht waren, in den 4 Jahren rückläufig sind (BSG: 2016 zu 2019 von 37 auf 23 mm und CRP 2016 zu 2019 von 15 auf 11 mg/L).

Abb. 3: Knochenszintigramm aus dem Jahr 2013. Illustration der massiven Knochenumbauaktivität in den Diaphysen und im Schädel.

Diskussion

Zur Progredienz des CES

Beim Vater der Patientin besteht die mildere postpubertäre Form des CES, das sog. Ribbing-Syndrom. [2] Bei diesem ist die klinische Progredienz mit ca. 35 Jahren zum Stillstand gekommen – u.a. deshalb jetzt die Analyse der Progredienz des CES bei der 36-jährigen Tochter. Der in den letzten Jahren verminderte Dichtezuwachs in den Diaphysen könnte zusammen mit der klinischen Besserung der Mobilität ein Hinweis für eine nachlassende Progredienz sein. Aus den biochemischen Knochen- umbauparametern ist dies jedoch noch nicht ableitbar.

Osteocalcin beim CES

Das carboxylierte Osteocalcin wird durch Vitamin K2 gesteuert, es ist für die Mineralisation wichtig. [3] Das uc-Osteocalcin ist ein Indikator für die Vitamin-K2-Versorgung, es steuert über Insulin die Energie- versorgung. Frage: Könnte der Ausgleich des Vitamin-K2-Defizits die diaphysäre Mineralisation weiter steigern?

Die mögliche Rolle des Periostes beim CES

Epiphysen und teilweise auch die Metaphysen sind nicht mit dem typischen zweilagigen Periost bedeckt – das gilt auch für den Schenkelhals. Die Diaphysen dagegen zeigen eine besonders zellreiche, osteogen aktive Cambium-Schicht des Periosts, das bei einer Fraktur den Callus zur Frakturheilung bildet.

Beim CES sind die Diaphysen der Extremitätenknochen sehr stark verändert, wohingegen die Epiphysen osteoporotisch zart erscheinen. Beim CES kann folglich die besondere osteogene Potenz des Periosts der Diaphysen bei dem zugrunde liegen- den genetisch determinierten Pathomechanismus eine Rolle spielen. Spezielle Befunde des Periosts bei dieser Erkrankung sind in der Literatur bisher nicht beschrieben.

Abb. 4: Zusammenhang Osteocalcin und Vitamin K2.

Abb. 5: Epi- und Metaphysen sind vom CES- Prozess ausgespart.

Literatur

1. Abendroth K et al.: Camurati-Engelmann-Syndrom / Progressive diaphysäre Dysplasie Typ 1 – Diagnostische und therapeutische Erfahrungen. Osteologie-Kongress 2015

2. Abendroth K et al.: Ribbing-Syndrom – eine Sonderform des Camurati-Engelmann-Syndroms (CES). Osteologie-Kongress Erlangen 2017

3. Patti A et al.: Endocrine Actions of Osteocalcin. International Journal of Endocrinology 2013, Article ID 846480, 10 pages; doi.org/ 10.1155/2013/846480

4. Augustin G et al.: The periosteum Part 1: Anatomy, histology and molecular biology. Injury, Int. J. Care Injured (2007) 38, 1115—1130

5. Fan W et al.: Struktural and cellular differences between metaphyseal and diaphyseal periosteum in different aged rats. BONE 2008; 42: 82-89

6. Dwek J R: The periosteum: what is it, where is it, and what mimics it in its absence? Skele- tal Radiol (2010) 39:319–323

7. Cleas L et al.: Modelle der metaphysären Frakturheilung OSTEOLOGIE 2011;20: 29-33