Rheumatischer Formenkreis

Lungenfibrose bei rheumatischen Erkrankungen: Nintedanib bremst Verlust der Lungenfunktion

Durchbruch in der Therapie fibrosierender interstitieller Lungenerkrankungen

Viele systemische Autoimmunerkrankungen bergen das Risiko, eine chronische progredient fibrosierende interstitielle Lungenerkrankung (chronische PF-ILD) zu entwickeln. [1-3] Die fortschreitende Fibrosierung der Lunge ist dabei mit einer hohen Morbidität und Mortalität verbunden. [1-3] Bisher stand – außer für die idiopathische Lungenfibrose (IPF) – für diese schwerwiegende Erkrankung keine zielgerichtete und effektive Therapie zur Verfügung. [4,5] Mit der Zulassung des Tyrosinkinase-Inhibitors Nintedanib zur Behandlung chronischer PF-ILDs sowie der interstitiellen Lungenerkrankung bei Erwachsenen mit systemischer Sklerose (SSc-ILD) wurde nun ein entscheidender Durchbruch erzielt.

Eine Lungenfibrose kann bei einem breiten Spektrum von interstitiellen Lungenerkrankungen (interstitiallung disease, ILD) auftreten – darunter auch viele ILDs, denen systemische Autoimmunerkrankungen (AI-ILDs) zugrunde liegen (z.B. rheumatoide Arthritis, systemische Sklerose, systemischer Lupus erythematodes, Bindegewebserkrankungen). [6-8] Den größten Anteil (39%) der AI-ILD-Patienten stellen Patienten mit einer mit rheumatoider Arthritis assoziierten ILD (RA-ILD), gefolgt von Patienten mit SSc-ILD (31%). [9] Das Vorhandensein einer ILD ist bei diesen Erkrankungen ein entscheidender Mortalitätsfaktor. [10,11] Immer besteht zudem das Risiko eines prognostisch besonders ungünstigen chronischen progredient fibrosierenden Verlaufs: Bei der RA-ILD entwickeln 40% eine chronische PF-ILD. [6,9]

Bei der Behandlung von Patienten mit chronischer PF-ILD besteht ein hoher medizinischer Bedarf, denn bis zur Einführung des niedermolekularen Tyrosinkinase-Inhibitors (TKI) Nintedanib (Ofev®) gab es – außer für die IPF – keine zugelassenen Medikamente, die den Verlauf dieser schwerwiegenden Erkrankung effektiv und zielgerichtet beeinflussen konnten. [12-14]

Die Bedeutung der neuen Behandlungsmöglichkeit unterstrich Prof. Dirk Koschel, Chefarzt der Abteilung Innere Medizin und Pneumologie, Fachkrankenhaus Coswig, und Bereichsleiter Pneumologie, Innere Medizin/Pneumologie, Medizinische Klinik und Poliklinik I, Universitätsklinikum Dresden, bei einem Symposium anlässlich des virtuellen Deutschen Rheumatologiekongresses (DGRh). Er bezeichnete das Jahr 2020 mit den Zulassungen von Nintedanib für die SSc-ILD im April und für chronische PF-ILDs im Juli als einen Wendepunkt in der ILDTherapie.

Nintedanib beichronischen PF-ILDs

Die Zulassung für Nintedanib zur Behandlung aller anderen chronischen progredient fibrosierende interstitiellen Lungenerkrankungen als der IPF im Juli 2020 basierte auf den Ergebnissen der Phase-III- Studie INBUILD®. [14, 15] In der randomisierten, placebokontrollierten, doppelblinden Phase-III-Studie wurden Wirksamkeit und Sicherheit von Nintedanib (150 mg, 2x täglich) bei Patienten mit einem breiten Spektrum chronischer PF-ILDs untersucht, darunter etwa ein Viertel der Studienpatienten mit einer Autoimmunerkrankung-assoziierten ILD. [15] In der Studie wurden die Patienten erstmals anhand des Krankheitsverlaufs und nicht aufgrund der Diagnose ein gruppiert. Primärer Endpunkt war die Reduzierung des jährlichen Verlusts der forcierten Vitalkapazität (FVC), der über einen Zeitraum von 52 Wochen ermittelt wurde. [15] Die Ergebnisse zeigten, dass Nintedanib den Lungenfunktionsverlust (FVC-Verlust) bei Patienten mit chronischer PF-ILD im Vergleich zu Placebo effektiv um 57% reduzieren konnte. [15] Der adjustierte jährliche FVC-Verlust nach 52 Wochen betrug bei mit Nintedanib behandelten Patienten 80,8 ml/Jahr im Vergleich zu 187,8 ml/Jahr mit Placebo (s. Abb. 1). [15] Der vorteilhafte Effekt von Nintedanib war über verschiedene Subgruppen (Alter, Geschlecht, ethnische Abstammung, Lungenfunktion zu Baseline) hinweg nachweisbar. [16] Zudem hatte die Primärdiagnose keinen Einfluss auf die Ergebnisse. [16]

Für Patienten mit einer AI-ILD war im Nintedanib-Arm der adjustierte mittlere FVC-Verlust nach 52 Wochen um 104,0 ml geringer als im Placebo-Arm. [16] Damit ist der Wert mit dem aus dem Gesamtkollektiv (107,0 ml) vergleichbar. [15]

Abb. 1: Zulassungsstudien für Nintedanib bei chronischen PF-ILDs (INBUILD®), SSc-ILD (SENSCIS®) und IPF (INPULSIS®-1 und -2): Reduktion des adjustierten jährlichen FVC-Verlusts nach 52 Wochen Nintedanib versus Placebo (primärer Endpunkt; mod. nach [15,18,24]).
SSc-ILD: Reduktion des FVC-Verlusts

Bei Patienten mit systemischer Sklerose (SSc, Sklerodermie) geht rund ein Drittel (35%) aller Todesfälle auf das Konto der ILD. Die mit SSc assoziierte ILD (SSc-ILD) ist damit eine der Haupttodesursachen bei Patienten mit systemischer Sklerose. [17] Bisher stand auch für diese Patienten keine zielgerichtete effektive Therapie zur Verfügung. [12] Die Zulassung von Nintedanib zur Behandlung von Patienten mit SSc-ILD durch die Europäische Kommission im April 2020 basiert auf den Ergebnissen der SENSCIS®-Studie. [14,18] In der randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Phase-IIIStudie konnte Nintedanib den Verlust der Lungenfunktion bei Patienten mit SSc-ILD im Vergleich zu Placebo effektiv um 44% bremsen. [18] Der adjustierte jährliche FVC-Verlust betrug bei Patienten, die mit Nintedanib behandelt wurden 52,4 ml/Jahr im Vergleich zu 93,3 ml/Jahr mit Placebo (absolute Differenz 41,0 ml/Jahr) (s. Abb. 1). [18]

Die Wirksamkeit von Nintedanib war in allen untersuchten Subgruppenvergleichbar und unabhängig von Geschlecht, Alter (</Ñ 65 Jahre), diffuser oder limitierter SSc, ATA-Status (Anti- Topoisomerase- Antikörper-Status) und Mycophenolat-Begleitmedikation. [18] Die Wirksamkeit von Nintedanib hinsichtlich des FVC- Verlusts war bereits nach wenigen Wochen erkennbar und hielt auch bis Woche 100 weiter an. [18,19] Weitere Subanalysen konnten zeigen, dass Nintedanib bei einem breiten Patientenspektrum wirksam ist. [20-23] So war der günstige Effekt von Nintedanib auf den FVC-Verlust weitgehend unabhängig vom Ausmaß der ILD [20], vom Body-Mass-Index (BMI) [21], der Krankheitsdauer [22] und dem CRP-Wert. [23]

Konsistentes Sicherheitsund Wirksamkeitsprofil

Nintedanib zeigte in allen drei zugelassenen Indikationen ein konsistentes Wirksamkeits- und Sicherheitsprofil. [14,15,18,24] Die relative Differenz der Abnahme der Lungenfunktion von 44% bei SSc-ILD (SENSCIS®) und 57% bei chronischen PF-ILDs (INBUILD®) ist ähnlich den Ergebnissen der Phase-III-Studien bei IPF (INPULSIS®-1 und -2: 49%).  [14, 15, 18, 24] Nintedanib wies in den Studien SENSCIS® und INBUILD® ein vergleichbares Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil auf wie bei Patienten mit IPF. [14,15,18,24] Indikationsunabhängig war die häufigste Nebenwirkung Diarrhö. [14,15,18,24] Die gastrointestinalen Beschwerden waren meist von leichter bis mittelschwerer Intensität und in der Regelgut handhabbar. [14,15,18,24]

Interdisziplinäre Zusammenarbeit ermöglicht frühe Diagnose und Therapie

Die Therapie mit Nintedanib kann die irreversible Vernarbung des Lungengewebes bremsen. Voraussetzung für einen größtmöglichen Therapieerfolg ist eine frühe Diagnose der Lungenfibrose, solange der Schaden an der Lunge noch vergleichsweise gering ist. „Von entscheidender Bedeutung in der Diagnosestellung der ILD ist heute ein multidisziplinäres Board“, verdeutlichte Prof. Koschel bei dem virtuellen Symposium. Er fügte hinzu: „Wir müssen hier Hand in Hand zusammenarbeiten.“ Die Experten waren sich einig, dass alle ILD-Patienten und Patienten mit systemischen Autoimmunerkrankungen, in deren Krankheitsverlauf sich eine Lungenfibrose entwickeln kann, mittels Lungenfunktionstests auf eine Lungenbeteiligung untersucht werden sollten und insbesondere bei Vorliegen von Risikofaktoren bereits bei Diagnose der Fibrosierungsgrad der Lunge mittels hochauflösender Computertomografie (High Resolution Computed Tomography, HRCT) bestimmt werden sollte. [6,25]. Prof. Gabriela Riemekasten, Klinik für Rheumatologie und klinische Immunologie, Universitätsklinikum Schleswig- Holstein, Lübeck, richtete einen Appell an ihre Kollegen, hier nicht abzuwarten, bis Schaden an der Lunge entsteht: „Wenn Sie sich nicht sicher sind und insbesondere bei Patienten mit einer Progression: Bitte schicken Sie die Patienten in ein Zentrum, damit wir kein Gewebe verlieren!“ Patienten mit einer Lungenfibrose sollten im weiteren Verlauf im Rahmen eines regelmäßigen, pro aktiven Monitorings mittels Lungenfunktionstests auf ein Fortschreiten der Fibrosierung untersucht werden und der Verdacht auf einen progredienten Verlauf mittels HRCT abgeklärt werden. [6]

Chance, den Krankheitsverlauf zu verlangsamen

Prof. Ulf Müller-Ladner, Rheumazentrum der Kerckhoff-Klinik, Bad Nauheim, zog ein Resümee: „Etwas in der Hand zu haben, was zugelassen ist, was funktioniert und einen bremsenden Effekt hat, ist schon ein Quantensprung zu den letzten 20 Jahren.“

 

Mit Nintedanib zielgerichtet gegen Lungenfibrosen

  • Nintedanib ist die einzige zugelassene effektive und zielgerichtete Therapie für ein breites Spektrum chronischer PF-ILDs und der SSc-ILD.
  • Nintedanib konnte in den zulassungsrelevanten Studien den jährlichen Verlust der Lungenfunktion konsistent um etwa die Hälfte bremsen.
  • Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit ist entscheidend für eine schnelle Diagnose und das bestmögliche Ergebnis für den Patienten.

Quelle: Symposium „Einzigartige Innovation bei SSc-ILD und weiteren rheumatischen Erkrankungen“, anlässlich des virtuellen Deutschen Rheumatologie-Kongress (DGRh), 10. September 2020

 

Literatur

  1. Wells AU et al. Eur Respir J 2018;51(5): pii:1800692.
  2. Harari S. Eur Respir Rev 2018;27(150):pii:180110.
  3. Brown KK et al. Eur Respir J 2020;55(6): 2000085.
  4. Richeldi L et al. Eur Respir Rev 2018;27(150): pii:180074.
  5. Behr J et al. Pneumologie 2017;71(7):460–74.
  6. Cottin V et al. Eur Respir Rev 2018;27(150): pii:180076.
  7. Wijsenbeek M et al. Curr Med Res Opin 2019;35(11):2015–24.
  8. Cottin V et al. Eur Respir Rev 2019;28(151): 180100.
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  11. Hoffmann-Vold AM et al. Am J Respir Crit Care Med. 2019;200(10):1258-1266.
  12. Kowal-Bielecka O et al. Ann Rheum Dis 2017;76(8):1327–39.
  13. Richeldi L et al. Eur Respir Rev 2018;27(150): pii:180074.
  14. Boehringer Ingelheim. OFEV® Fachinformation, Stand Juli 2020.
  15. Flaherty KR et al. N Engl J Med 2019;381(18): 1718–27.
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  17. Tyndall AJ et al. Ann Rheum Dis 2010;69(10): 1809–15.
  18. Distler O et al. N Engl J Med 2019;380(26):2518–28.
  19. Maher TM et al. Am J Respir Crit Care Med 2020;201:A4558.
  20. Goh N et al. Am J Respir Crit Care Med 2020;201:A1525.
  21. Jouneau S et al. Am J Respir Crit Care Med 2020;201:A1526.
  22. Distler O et al. Am J Respir Crit Care Med 2020;201:A1524.
  23. Riemekasten G et al. EULAR 2020; Poster THU0363.
  24. Richeldi L et al. N Engl J Med 2014;370(22):2071– 82. Inkl. Suppl.
  25. Gulati M. Prim Care Respir J 2011;20(2):120–7.